Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
Sie es aus meinem eignen Munde hören, wird Sie über so große Niederträchtigkeit und Undankbarkeit in Verwunderung setzen.«
»Sie sind hintergangen, Herr von Alwerth,« antwortete Madame Miller, »und wären es die letzten Worte, die über meine Lippen kommen sollten, so sagte ich, Sie sind hintergangen! Und ich wiederhole es noch einmal, Gott verzeihe es denen, die Sie hintergangen haben! Ich maße mir gar nicht an zu sagen, der junge Mann habe keine Fehler; aber es sind Fehler der Uebereilung und der Jugend, Fehler, die er ablegen kann, ja, die er, ich bin es gewiß, ablegen wird, und geschähe es auch nicht, so werden sie durch eins der menschenfreundlichsten, wohlwollendsten, redlichsten Herzen unendlich überwogen, womit nur jemals der Himmel einen Menschen gesegnet hat.«
»In der That, Madame Miller,« sagte Alwerth, »wenn man mir dies von Ihnen erzählt hätte, würde ich's nicht geglaubt haben.« – »In der That, teuerster Herr von Alwerth,« antwortete sie, »Sie werden jedes Wort glauben, was ich gesagt habe, das weiß ich, werden Sie. Und wenn Sie die Geschichte gehört haben, die ich Ihnen erzählen will (denn Ihnen will ich alles sagen), so werden Sie so weit entfernt sein, mir böse zu werden, daß Sie vielmehr gestehn werden (denn ich kenne Ihre Gerechtigkeitsliebe zu gut), daß ich die verworfenste und undankbarste Kreatur von der Welt sein müßte, wenn ich mich anders benommen hätte, als ich gethan habe.«
»Wohl, Madame!« sagte Alwerth. »Es soll mir sehr lieb sein, eine gültige Entschuldigung für ein Betragen zu hören, welches, ich muß es Ihnen bekennen, einer Entschuldigung zu bedürfen scheint. Und nun, Madame, wollen Sie die Güte haben, meinen Neffen in seiner Geschichte fortfahren zu lassen, ohne ihn zu unterbrechen? Eine Begebenheit von geringer Bedeutung würde er mit einer solchen Vorrede nicht angekündigt haben. Vielleicht werden Sie durch eben diese Erzählung von Ihrem Irrtum geheilt.«
Madame Miller gab durch Zeichen ihre Unterwerfung zu verstehen und dann begann Herr Blifil folgendermaßen: »Gewißlich, bester Herr Onkel, wenn Sie es nicht für ratsam erachten, das unfreundliche Betragen der Madame Miller übelzunehmen, so kann ich das, was mich allein betrifft, sehr leicht verzeihen. Ich denke, [216] Ihre Gütigkeit hätte wohl etwas mehr Dank von ihr verdient.« – »Nu, nu, Kind!« sagte Alwerth, »sage nur, was ist dies für ein neuer Beweis? Was hat er kürzlich wieder ausgehn lassen?« – »Etwas,« erwiderte Blifil, »das mir ungeachtet alles dessen, was Madame Miller gesagt, sehr leid thut zu erzählen, und was Sie niemals von mir erfahren haben sollten, wär' es nicht eine Sache, die vor der ganzen Welt unmöglich verborgen bleiben kann; kurz, er hat einen Mann erschlagen, ich mag nicht sagen ermordet – denn vielleicht läßt es sich nach den Gesetzen noch glimpflich so auslegen, und ich hoffe um seinetwillen das beste.«
Herrn Alwerth war der Abscheu im Gesicht zu lesen. Er schickte einen Seufzer gen Himmel und wandte sich darauf gegen Madame Miller und sagte: »Wohlan, Madame, was sagen Sie nun?«
»Nun, ich sage, Herr von Alwerth,« antwortete sie, »daß mir in meinem Leben noch niemals etwas so leid gethan hat. Allein, wenn die Sache wahr ist, so bin ich überzeugt, sein Gegner, er sei auch wer er sei, hat die Schuld. Gott weiß es, es gibt der Bösewichter viele in dieser Stadt, die sich ein Geschäft draus machen, junge Leute aufzuhetzen. Nichts als die größte Reizung konnte ihn aufgebracht haben; denn von allen jungen Herren, die jemals in meinem Hause gewohnt haben, habe ich nie einen von so sanfter und milder Gemütsart gesehn. Er ward von jeder Seele im Hause geliebt und von jedermann, der ihn nur kennen lernte.«
Unterdessen daß sie solchergestalt ihrer Zunge Raum gab, unterbrach ein heftiges Klopfen an der Thüre die Unterredung und verhinderte sie, sowohl weiter fortzufahren, als auch eine Antwort zu erhalten; denn weil sie glaubten, es sei jemand, der Herrn Alwerth besuchen wollte, so begab sie sich eilig hinweg und nahm ihr kleines Mädchen mit, dessen Augen über die traurige Nachricht, die es von Jones hörte, voll Wasser standen; denn Herr Jones pflegte das Kind seine kleine Braut zu nennen und gab ihm nicht nur allerlei Spielzeug, sondern brachte auch ganze Stunden damit hin, mit ihm selbst zu spielen.
Einige Leser mögen vielleicht ein Vergnügen an diesen kleinen Umständen finden, bei deren Erzählung wir dem Beispiele
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