Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
Gift und Dolch geschworen, so wären wir jetzt, wie der Leser einräumen muß, diesem Schlusse so ziemlich nahe gekommen, weil es dem Fürsten der Hölle oder irgend einem seiner Repräsentanten auf Erden Schwierigkeit gekostet haben würde, für den armen Jones größere Qualen zu ersinnen, als diejenigen, in welchen wir ihn im letzten Kapitel verlassen haben. Und was Sophie anbelangt, so würde ein gutherziges Frauenzimmer schwerlich einer Nebenbuhlerin mehr Unruhe anwünschen, als sie nach vernünftiger Voraussetzung jetzt fühlen mußte. Was bleibt denn also noch übrig, um das Trauerspiel zu vollenden, als etwa ein Mord oder ein paar und einige moralische Weidsprüche? Aber unsre Lieblinge aus ihrer gegenwärtigen Not und Elend heraus und sie zuletzt ans Ufer der Glückseligkeit zu bringen, das scheint ein weit schwereres Unternehmen zu sein; ein Unternehmen, das wirklich so schwer ist, daß wir uns nicht getrauen, damit zustandezukommen. In Ansehung Sophiens ist es mehr als wahrscheinlich, daß sie endlich noch am Ende einen oder den andern guten Ehemann für sie auftreiben werden, entweder Blifil, oder den Grafen, oder wer es sonst sein wird. Was aber den armen Jones anbelangt, so sind die Jammerplagen, worin er sich gegenwärtig durch seine Unbedachtsamkeit verwickelt hat (wodurch ein Mann, wenn auch nicht an der Welt, doch wenigstens an sich selbst ein Verbrecher wird) von der Größe und so entblößt ist er jetzt von Freunden und so verfolgt von Feinden, daß wir fast daran verzweifeln, ihn noch irgend zu etwas gutem bringen zu können. Und wenn unser Leser eine Freude an Hinrichtungen armer Sünder findet, so däucht uns, wird er wohl thun, wenn er nicht säumt, sich bei Zeiten ein bequemes Fenster in der Nähe des Hochgerichts zu mieten. So viel versichre ich auf Treu' und Glauben, daß ungeachtet aller Vorliebe, die man uns zu diesem liederlichen Kumpan, den wir unglücklicherweise zu unserm Helden gewählt haben, zutrauen mag, wir ihm nichts von der übernatürlichen Hilfe wollen [213] zu statten kommen lassen, die nur mit der Bedingung unsern Händen anvertraut ist, daß wir uns ihrer nur bei höchst wichtigen Gelegenheiten bedienen sollen. Wenn er sonach keine natürlichen Mittel findet, sich redlicherweise aus allen seinen Trübsalen herauszuwinden, so werden wir ihm zu gefallen der Würde der historischen Wahrheit nicht zu nahe treten. Denn wir möchten lieber erzählen, daß er wirklich gehangen sei (und sehr wahrscheinlicherweise kann es noch dazu kommen) als den Namen eines wahrheitliebenden Geschichtschreibers verlieren, oder den willigen Glauben unsrer Leser verwirken.
Hierin hatten die Alten einen großen Vorteil über die Neuern. Ihre Mythologie, welche damals von dem großen Haufen viel fester geglaubt wurde, als irgend eine Religion in unsern Tagen, gab ihnen allezeit Mittel und Gelegenheit an die Hand, einen Lieblingshelden zu retten. Ihre Gottheiten standen auf jeden Wink des Schriftstellers bereit, zu thun, was er ihnen auftrug; und je außerordentlicher und wunderbarer ihre Nothilfe war, desto größer war das freudige Erstaunen des leichtgläubigen Lesers. Jene Autoren hätten mit leichterer Mühe einen lieben Freund aus einem Lande in ein andres, ja aus einer Welt in die andre versetzen und ihn wieder zurückbringen können, ehe ein armer eingeschränkter Schriftsteller heutigentags sein Schooßkind aus dem Gefängnisse befreien kann.
Die Araber und Perser hatten bei Verfertigung ihrer Erzählung eben die Vorteile von den Schutzgeistern und Feen, an welche zu glauben sie durch die Autorität ihres Korans selbst, der den Inbegriff ihres Glaubens enthält, verbunden sind. Wir aber haben gar keinen von diesen Behelfen. Natürliche Mittel sind das einzige, worauf wir eingeschränkt sind. Also laß uns versuchen, was durch diese Mittel für Jones auszurichten sein wird, ob mir gleich, die Wahrheit zu bekennen, etwas ins Ohr flüstert, daß er von seinen Unglücksfällen den schlimmsten noch nicht kennt und daß in den noch unaufgeschnittenen Blättern des Schicksals ihm eine weit ärgere Hiobspost bevorsteht.
Zweites Kapitel.
Großmütiges und dankbares Betragen der Madame Miller.
Herr Alwerth und Madame Miller hatten sich eben zum Frühstück niedergesetzt, als Herr Blifil, der des Morgens früh ausgegangen war, wieder heimkam und die Gesellschaft verstärkte.
Er hatte noch nicht lange bei ihnen gesessen, als er anhub wie folgt: »Ach lieber Gott, bester Herr Onkel, was meinen
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