Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
ausgenommen eine Rotte werbender Matrosen, die zu einem Kriegsschiff [243] gehörten, das damals zu Deptford lag. Er machte sich also auf nach Deptford, um diese Werbe-Matrosen aufzusuchen; und dort sagte man ihm, die Leute, welche er suchte, wären alle ans Land gegangen. Er spürte ihnen also nach, von einem Ort zum andern, bis er zuletzt zwei von ihnen fand, welche in einem Heckenkruge, nicht weit von Aldersgate, saßen, und noch mit einer dritten Person tranken.
Herr Nachtigall wünschte mit Jones allein zu sprechen; denn Rebhuhn war gegenwärtig, als er hereinkam. Sobald als sie allein waren, faßte Nachtigall Herrn Jones bei der Hand sagte: »Kommen Sie, mein braver Freund, lassen Sie sich durch das, was ich Ihnen zu sagen habe, nicht zu sehr niederschlagen. Es thut mir leid, daß ich der Bote von einer schlimmen Nachricht sein muß; aber ich halt' es für meine Pflicht, sie Ihnen zu sagen.« – »Ich rate schon, was das für eine Nachricht ist,« rief Jones; »der arme Fitz Patrick ist also gestorben.« – »Das hoffe ich nicht,« antwortete Nachtigall; »heute morgen lebte er noch; doch will ich Ihnen nicht schmeicheln, denn nach dem, was ich habe erfahren können, fürchte ich, ist seine Wunde tötlich. Allein, wenn die Sache sich genau so verhält, wie Sie mir erzählt haben, so ist Ihr eigener innerer Kummer alles, was Sie Ursache zu befürchten haben; der Ausgang mit dem Verwundeten mag sein, wie er will. Aber, verzeihen Sie mir, mein liebster Thomas, wenn ich Sie bitte, uns, Ihren Freunden, die Geschichte völlig so nachteilig für Sie zu erzählen, wie sie ist. Wenn Sie uns irgend etwas verhehlen, so sind Sie wirklich bloß Ihr eigener Feind.«
»Was für Ursache, mein liebster Nachtigall, hab' ich Ihnen jemals gegeben,« sagte Jones, »mich mit einem so grausamen Verdachte zu verwunden?« – »Haben Sie Geduld!« rief Nachtigall, »ich will Ihnen alles erzählen. Nach der fleißigsten Erkundigung, die ich einziehen konnte, hab' ich endlich zwei von den Kerlen angetroffen, welche bei diesem unglücklichen Vorfalle zugegen waren, und, es thut mir leid zu sagen, sie erzählen die Sache nicht so vorteilhaft für Sie, als Sie selbst sie mir erzählt haben.« – »Nun! wie erzählen sie es denn?« rief Jones. – »Wie ich's in der That ungern wiederhole, weil ich die Folgen befürchte, die es für Sie haben könnte! Sie sagen, sie wären zu weit entfernt gewesen, um die Worte zu hören, die zwischen ihnen vorgefallen sind; aber beide stimmen darin überein, daß
Sie
den ersten Schlag gegeben haben.« – »Dann, auf meine Seele!« antwortete Jones, »thun sie mir Unrecht! Er war nicht nur der erste, der mich schlug, sondern er schlug mich auch, ohne daß ich ihn im geringsten dazu gereizt hätte. Was kann diese Bösewichter bewegen, mich fälschlich verleumden?« – »Ja, das kann ich nicht erraten!« sagte Nachtigall. »Und wenn Sie weder selbst, noch ich, der ich Ihr so herzlicher Freund bin, eine Ursache ersinnen können, warum die Kerle Sie verleumden sollten, was für Ursache wird dann ein unparteiisches Gericht anführen können, warum es ihnen keinen Glauben zustellen sollte? Ich legte ihnen zu verschiedenen Malen die Frage vor, und das that auch [244] ein anderer hübscher Mann, der zugegen war, den ich für einen seefahrenden Mann hielt, und welcher wirklich als ein Freund an Ihnen handelte; denn er bat sie oft, es ja wohl zu überlegen, daß es hier auf das Leben eines Menschen ankäme, und fragte sie zu verschiedenen Malen: ob sie es auch recht gewiß wüßten? Worauf sie beide antworteten, sie wüßten es sehr gewiß, und wären bereit, ihre Aussage mit einem Eid zu bekräftigen. Um Gotteswillen! mein liebster Freund, besinnen Sie sich wohl! Denn sollte dieser Umstand wirklich wahr sein, so müssen Sie ja bei Zeiten darauf denken, was für Einfluß das Ansehen Ihrer Freunde und Bekannten bei Hofe haben kann. Ich möchte Sie nicht gern niederschlagen; aber Sie kennen, glaube ich, die Strenge der Gesetze, ungeachtet der heftigsten Anreizungen, die Ihnen durch Worte gegeben werden konnten.« – »Ach! mein liebster Freund,« erwiderte Jones, »auf was für Freunde, auf was für Fürsprache kann ein solcher verworfener Mensch rechnen wie ich! Und überdem, können Sie glauben, daß ich zu leben wünschte, wenn ich in der Welt für einen Mörder gehalten würde? Wenn ich auch Freunde von Einfluß hätte (wie ich wirklich nicht habe), wo sollt' ich die Dreistigkeit hernehmen, sie um ihre
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