Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
weltkluge Leute, welche eine Ehefrau, eine Mutter, eine Schwester, oder zuweilen gar eine ganze Familie für die sichersten Sekundanten bei solcher Gelegenheit halten. Die erste Nachricht also, die sie von alle diesem bekam, erhielt sie von seinen Lippen, nachdem er aus der Weinschenke, woselbst er zum erstenmal verbunden war, nach Hause gebracht worden.
[246] Da inzwischen Herr Fitz Patrick eben niemals der deutlichste Erzähler einer Geschichte war, und er eben jetzt noch ein wenig verworrner als gewöhnlich sein mochte, so dauerte es einige Zeit, bis sie soviel herausbringen konnte, daß der Herr, welcher ihm die Wunde beigebracht hätte, grade ebenderselbe Mann wäre, von welchem ihr Herz eine Wunde empfangen hätte, die, ob sie gleich nicht tödlich, doch so tief gewesen war, daß sie eine merkliche Narbe hinterlassen hatte; allein sie hatte nicht so bald erfahren, daß Herr Jones selbst der Mann wäre, welcher wegen dieser vermeinten Mordthat nach dem Gefängnisse gebracht worden, als sie die erste Gelegenheit wahrnahm, Herrn Fitz Patrick unter der Aufsicht seiner Krankenwärterin zu lassen und aufs eiligste hinzugehen, seinen Besieger zu besuchen.
Bei ihrem Eintritt in die Gefangnenstube zeigte sie ein sehr aufgeräumtes Gesicht, welches aber durch den melancholischen Anblick des armen Jones den Augenblick in andre Falten gelegt wurde, der den Augenblick, da er sie erblickte, zusammenfuhr und sich fast kreuzigte und segnete, worauf sie zu ihm sagte: »Nun ja, es wundert mich nicht, daß Sie stutzen! Ich glaube wohl, daß Sie meinen Besuch nicht erwarteten, denn wenige Herren werden hier mit Besuchen von Frauenzimmern behelligt, wenn's nicht etwa von einer Ehefrau ist. Sie sehen, Herr Jones, was für eine Gewalt Sie über mich haben. In der That dacht' ich's wohl nicht, als wir uns zu Upton trennten, daß wir uns das nächste Mal an einem solchen Ort wieder sprechen würden.« – »In der That, Madame,« sagte Jones, »ich muß diesen Besuch als einen Beweis Ihrer Güte ansehn! Wenige Personen folgen einem Manne im Unglück, besonders nach so traurigen Wohnungen.« – »Ich beteur' es Ihnen, Herr Jones,« sagte sie, »ich kann mich kaum überreden, daß Sie eben der angenehme, artige Mann sind, den ich zu Upton sah. Wie? Ihr Gesicht ist ja noch finstrer und trauriger, als das ärgste Gefängnis auf Gottes weiter Welt? Sagen Sie mir doch nur, was Ihnen fehlt?« – »Ich dachte, Madame,« sagte Jones, »da Sie wußten, daß ich mich hier befände, so hätten Sie auch die unglückselige Ursache gewußt, warum?« – »Puh!« sagte sie, »Sie haben einem Mann im Duell zur Ader gelassen, das ist die ganze Geschichte!« Jones bezeugte einigen Unwillen über diesen Leichtsinn und sprach mit tiefem Gefühl der Reue über das Vorgefallene. »Wohlan denn, mein Herr!« antwortete sie hierauf, »wenn Ihnen das so schwer auf dem Herzen liegt, so will ich Ihnen die Last ein wenig erleichtern. Ihr Gegner ist nicht tot, und ich bin so ziemlich gewiß, daß er auch in keiner Gefahr ist zu sterben. Freilich war der Feldscherer, der ihn das erste Mal verband, ein junger Anfänger und mochte gern die Wunde so gefährlich machen als möglich, um desto mehr Ehre davon zu haben, wenn er ihn kurierte; allein seitdem hat ihn der königliche Wundarzt verbunden und sagt, wenn nicht ein gewisses Fieber dazu komme, wozu noch nicht das geringste Anzeichen vorhanden, so fürchte er für sein Leben gar keine Gefahr.« Jones' Mienen heiterten sich bei dieser Nachricht um ein merkliches auf, da sie denn [247] die Wahrheit derselben nochmals bestätigte und hinzufügte: »Durch den sonderbarsten Zufall von der Welt wohn' ich in demselbigen Hause und habe den Verwundeten gesehn, und ich kann Sie versichern, daß er Ihnen Gerechtigkeit widerfahren läßt und gesagt hat: Wie es auch mit ihm ausfallen möge, wäre er eigentlich der einzige angreifende Teil gewesen, und Sie hätten nicht die allergeringste Schuld.«
Jones bezeigte die größte Zufriedenheit über die Nachricht, welche ihm Madame Waters brachte. Er belehrte sie hierauf über verschiedene Dinge, welche sie bereits recht gut wußte; als zum Beispiel, wer Herr Fitz Patrick wäre, was die Veranlassung seiner Feindseligkeit gewesen u.s.w. Dann erzählte er ihr auch manches, was sie nicht wußte, so die Begebenheit mit dem Muff und dergleichen, wobei er bloß Sophiens Namen verschwieg. Er beklagte darauf die Thorheiten und Laster, die er sich hatte zu schulden kommen lassen, welche
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