Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
Freundschaft schrieb, ob es gleich bis zum Uebermaß getrieben ward und alles Uebermaß schädlich und fehlerhaft ist; doch dies schob ich auf die Jugend. Wie konnt' ich argwöhnen, daß das Opfer der Wahrheit, wovon wir beide meinten, er habe es der Freundschaft gebracht, in der That nichts andres wäre, als eine schändliche Entheiligung derselben zum Dienst seiner tierischen und liederlichen Gelüste? Sie sehen nun deutlich, woher alle die anscheinende Großmut dieses jungen Menschen gegen die Familie des Wildmeisters entstand. Er unterstützte den Vater, um die Tochter verführen zu können, und bewahrte die Familie vor Hungersnot, um eine davon in Schande und Elend zu stürzen. Das sei mir eine Freundschaft! das sei mir eine Großmut! Wie Richard Steele sagt: Freßkehlen, welche große Summen hingeben für Leckerbissen, verdienen ebensogut großmütig genannt zu werden. Kurz, von diesem Augenblicke an bin ich entschlossen, der Schwäche meiner menschlichen Natur nichts mehr einzuräumen oder hinfüro etwas [164] andres für Tugend zu halten, als was sich ganz genau unter die untrügliche Regel des Rechts bringen läßt.«
Herrn Alwerths Gutherzigkeit hatte es verhindert, daß ihm selbst diese Betrachtungen eingefallen waren. Indessen waren sie zu wahrscheinlich, um sie ganz und eilig zu verwerfen, da sie ihm von einem andern vor die Augen gelegt wurden. In der That senkte sich das, was Quadrat gesagt hatte, sehr tief in sein Gemüt, und die unruhigen Bewegungen, welche es darin anrichtete, waren dem andern sehr sichtbar; ob dies gleich der edle Mann nicht eingestehen wollte, sondern vielmehr eine unbedeutende Antwort darauf gab und gezwungenerweise das Gespräch auf eine andre Materie lenkte. Es war vielleicht ein Glück für Tom, daß dergleichen Einbläsereien nicht eher angebracht worden waren, bevor er seine Verzeihung erhalten hatte; denn sie pflanzten gewiß die ersten nachteiligen Eindrücke gegen Jones in Alwerths Gemüt.
Zwölftes Kapitel.
Enthält viel deutlichere Materien, die aber mit denen im vorigen Kapitel aus einer Quelle fließen.
Dem Leser wird es angenehm sein, glaube ich, mit mir zu Fräulein Sophie zurückzukehren. Sie brachte die Nacht, nachdem wir sie zuletzt gesehen, gar nicht angenehm hin. Der Schlaf erwies ihr wenig Freundschaft, und die Träume noch weniger. Des Morgens, als Honoria, ihre Kammerjungfer, zur gewohnten Stunde hereintrat, fand sie ihre Dame schon aufgestanden und angekleidet.
Leute, welche auf dem Lande in einer Entfernung von etlichen Meilen Feldweges zerstreut wohnen, sind als Nachbarn, Wand an Wand, zu betrachten, und die Begebenheiten eines Hauses fliegen mit unglaublicher Schnelligkeit zum andern. Jungfer Honoria hatte also die ganze Geschichte von Mollys Schimpf und Schande erfahren; welche sie, sobald sie nur einen Fuß in ihres Fräuleins Zimmer gesetzt hatte (denn ihre Zunge war gar redselig), folgendermaßen zu erzählen begann:
»Ha! Frölen, was denkt 'R Gnad'n! das Mäd'l, das 'R Gnad'n letzt Sonntags inn'r Kirch sah'n, und vor so hipsch hielt'n; obschons Sie sie auch nicht vor so hipsch möcht'n gehalt'n hab'n, wenn Sie sie näher geseh'n hätt'n. Aber, bei mein'r Ehr! sie hab'n sie für'n Richter geholt, daß sie 'n Kind hab'n soll. Mir [165] schien sie auszuseh'n, wie ein dummdreist Nickel; und mein'r Ehr! sie hat auf'n jungen Herrn Jon's ausgesagt. Und's ganze Kirchspiel sagt, Herr Alwerth ist so böse mit dem jungen Herrn Jon's, daß er'n nicht vor Augen seh'n mag. Mein'r Ehr! der junge Herr ist zu bedauern; und doch verdient 'r auch's Bedauern eben nicht, daß er sich so mit 'n Mistfinken abgeb'n konnte. Und doch ist's so'n hipscher jung'r Mensch, daß es ein'n leid thun sollt', wenn er weggejagt würde. Ich will wohl 'n entsetzlich'n Eid d'rauf thun, daß 's Mensch ebenso allart dazu gewest ist, als er; denn sie ist ihr Lebszeit ein dreist naseweise Pelmke gewest. Und wenn die Menscher so vorwill'g sind, so sind die jungen Mannsen doch auch so tad'lich eben nicht; denn, mein'r Ehr! thun sie doch nichts, als was natürlich ist. Schämen sollt'n sie sich freilich, daß sie sich mit solch'n schmutz'gen Lumpenpack gemein machen, und 's geschicht ihn'n ganz recht, wenn 's ihn'n so darnach geht. Und doch hat die Bagasche von Menschern immer die meiste Schuld. Ich wollt' mit Grund des Herzens wünschen, daß sie alle, so recht dapfer, am Pranger gestäupt würden; denn 's ist große Sünd' und Schande, daß sie so'n fein'n jung'n Mensch'n in Kreuz
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