Tom Ripley 01 - Der talentierte Mr Ripley
Mädchen kam herein mit einem Tablett voller Martinis und Appetithäppchen.
»Mr. Ripley war schon einmal hier«, sagte Mr. Greenleaf. »Mit Richard.«
»Oh, wirklich? Da habe ich Sie aber nicht kennengelernt, glaube ich.« Sie lächelte. »Sind Sie aus New York?«
»Nein, aus Boston«, sagte Tom. Das stimmte.
Etwa eine halbe Stunde später - gerade zur richtigen Zeit, dachte Tom, denn die Greenleafs hatten ihn immer wieder genötigt, noch einen Martini und noch einen zu trinken - gingen sie in das angrenzende Eßzimmer. Der Tisch war für drei gedeckt, mit Kerzen, riesigen dunkelblauen Servietten und einem ganzen kalten Huhn in Aspik. Zuerst aber gab es Selleriesalat. Tom mochte ihn sehr gern. Er sagte es.
»Genau wie Richard!« sagte Mrs. Greenleaf. »Er hat ihn immer gern gemocht, so wie unsere Köchin ihn macht. Schade, daß Sie ihm keinen mitnehmen können.«
»Ich werde ihn einpacken, zusammen mit den Strümpfen«, sagte Tom lächelnd, und Mrs. Greenleaf brach in Lachen aus. Sie hatte ihm gesagt, daß sie ihm gern schwarze Wollstrümpfe für Richard mitgeben möchte - die von Gebr. Brooks, die Richard immer getragen hatte.
Die Konversation war stumpfsinnig, das Essen erstklassig. Auf eine Frage von Mrs. Greenleaf ließ Tom wissen, er arbeite für eine Werbefirma namens Rothenberg, Fleming und Barter. Als er später darauf zurückkam, sprach er absichtlich von Reddington, Fleming und Parker. Mr. Greenleaf schien den Unterschied gar nicht zu merken. Zum zweiten Male erwähnte Tom den Firmennamen, als er nach dem Essen allein mit Mr. Greenleaf im Wohnzimmer saß.
»Sind Sie in Boston zur Schule gegangen?« fragte Mr. Greenleaf.
»Nein. Eine Zeitlang war ich in Princeton, dann ging ich zu einer anderen Tante in Denver und besuchte dort das College.« Tom wartete. Er hoffte, Mr. Greenleaf würde ihn nach Princeton fragen, aber das tat er nicht. Tom hätte über alles diskutieren können - über die Methode des Geschichtsunterrichts, die Schulordnung, die Atmosphäre der Tanzabende am Wochendende, die politischen Tendenzen unter den Schülern, über alles. Im letzten Sommer war Tom nämlich mit einem Jungen aus Princeton befreundet gewesen. Der Kleine hatte über nichts anderes geredet als über Princeton, so daß Tom ihn schließlich ausquetschte, immer noch mehr aus ihm herausholte - in weiser Voraussicht der Gelegenheit, bei welcher er diese Informationen würde verwerten können. Tom hatte den Greenleafs erzählt, daß er von seiner Tante Dottie in Boston aufgezogen worden war. Sie hatte ihn nach Denver mitgenommen, als er sechzehn war, und in Wahrheit hatte er dort nur die Oberschule besucht. Aber da hatte es einen jungen Mann namens Don Mizell gegeben, er hatte ein Zimmer im Hause seiner Tante Bea in Denver, und er studierte an der Universität von Colorado. Es war Tom, als hätte auch er dort studiert.
»Haben Sie sich auf irgend etwas Besonderes spezialisiert?« fragte Mr. Greenleaf.
»Man könnte sagen, ich habe mich zwischen Buchführung und englischem Aufsatz geteilt«, erwiderte Tom mit einem Lächeln. Er wußte, das war eine derart langweilige Auskunft, daß niemand auf die Idee käme, Näheres wissen zu wollen.
Mrs. Greenleaf kam mit einem Photoalbum, und Tom saß neben ihr auf dem Sofa, als sie die Seiten umblätterte. Richard bei seinen ersten Schritten, Richard auf einem gräßlichen, ganzseitigen Farbphoto in Aufmachung und Pose des ›Knaben in Blau‹ mit langen, blonden Locken. Das Album war uninteressant für Tom, bis sie etwa zu Richards sechzehntem Lebensjahr vorgedrungen waren. Richard, lang, dünn, mit festeren Wellen im Haar. Soweit Tom sehen konnte, hatte er sich zwischen sechzehn und drei- oder vierundzwanzig kaum verändert. Hier hörten die Richard-Bilder auf. Tom staunte, wie unverändert das sonnige, naive Lächeln auf den Bildern blieb. Ich kann mir nicht helfen, dachte er, sehr intelligent scheint Richard nicht zu sein; oder er hatte einfach das Photographiertwerden gern und meinte, daß er am besten aussähe, wenn sein Mund von einem Ohr zum anderen reichte. Was auch nicht gerade für seine Intelligenz sprach.
»Ich bin noch nicht ganz fertig geworden mit dem Einkleben«, sagte Mrs. Greenleaf und reichte ihm einen Stoß loser Bilder. »Diese sind alle aus Europa.«
Das war interessanter. Dickie in einem Pariser Café, wie es schien, Dickie an einem Strand. Auf einigen dieser Photos runzelte Dickie die Stirn.
»Dies ist übrigens Mongibello.« Mrs. Greenleaf wies auf
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