Tom Ripley 01 - Der talentierte Mr Ripley
einziges Mal getroffen. Hat Richard Sie nicht einmal zu uns nach Hause mitgebracht?«
»Ich glaube schon.«
»Die Schrievers haben mir auch Ihre genaue Personenbeschreibung gegeben. Wir alle haben versucht, Sie zu erreichen. Den Schrievers wäre es nämlich am liebsten gewesen, wenn wir uns in ihrem Hause getroffen hätten. Irgend jemand hat den Schrievers erzählt, daß Sie ab und zu in die Bar zum »Grünen Käfig« gehen. Heute abend habe ich mich zum ersten Male auf die Suche nach Ihnen gemacht - was sagen Sie, habe ich nicht mächtiges Glück gehabt?« Er lächelte. »Vorige Woche habe ich Ihnen einen Brief geschrieben. Vielleicht haben Sie den gar nicht bekommen.«
»Den habe ich nicht bekommen, nein.« Marc lieferte ihm seine Post nicht aus. Verdammter Bursche, dachte Tom. Kann sein, daß auch ein Scheck von Tante Dottie gekommen ist. »Ich bin vor ungefähr einer Woche umgezogen«, fügte Tom hinzu.
»Ach so. Viel steht nicht drin in meinem Brief. Nur daß ich Sie gern einmal gesprochen hätte. Die Schrievers waren wohl der Meinung, daß Sie Richard recht gut kennen.«
»Ich erinnere mich an ihn, ja.«
»Aber Sie korrespondieren im Augenblick nicht mit ihm?« In seinem Blick lag Enttäuschung.
»Nein. Es muß wohl ein paar Jahre her sein, daß ich Richard zum letztenmal gesehen habe.«
»Er ist seit zwei Jahren in Europa. Die Schrievers haben sich sehr lobend über Sie geäußert, und sie dachten, Sie hätten vielleicht Einfluß auf Richard, wenn Sie ihm schreiben. Ich möchte, daß er nach Hause kommt. Er hat Verpflichtungen hier - aber gerade jetzt ignoriert er einfach alles, was ich oder seine Mutter ihm klarzumachen versuchen.«
Tom war platt. »Was haben die Schrievers denn gesagt?«
»Anscheinend haben sie ein bißchen übertrieben. Sie sagten, daß Sie und Richard sehr enge Freunde seien. Sie haben wohl als ganz selbstverständlich angenommen, daß Sie in regem Briefwechsel mit ihm stehen. Sehen Sie, ich weiß fast gar nichts mehr über Richards Freunde . . .« Sein Blick haftete auf Toms Glas, als hätte er ihm gern eins spendiert, das wenigstens. Aber Toms Glas war noch fast voll.
Tom erinnerte sich an eine Cocktailparty bei den Schrievers. Er war mit Dickie Greenleaf zusammen hingegangen. Vielleicht waren die Greenleafs mit den Schrievers näher bekannt als er, und alles hatte sich daraus ergeben. Denn er selber war mit den Schrievers höchstens drei- oder viermal in seinem Leben zusammengewesen. Und das letztemal, dachte Tom, war jener Abend gewesen, an dem er Charley Schrievers Einkommensteuer ausgerechnet hatte. Charley war Fernsehdirektor; mit seinen freiberuflichen Einkünften hatte er damals in hoffnungslosem Durcheinander gesteckt. Charley war überzeugt gewesen, Tom sei ein Genie, weil er tatsächlich die Steuersumme herausbekommen hatte, und noch dazu war sie niedriger gewesen als die, bei der Charley selber angelangt war. Übrigens völlig legal niedriger. Möglicherweise war das der Grund, warum Charley ihn an Mr. Greenleaf empfohlen hatte. Wenn Charley ihn von jenem Abend her beurteilte, dann war es durchaus denkbar, daß er Mr. Greenleaf erzählt hatte, Tom sei intelligent, gebildet, von gewissenhafter Ehrlichkeit und zuvorkommender Hilfsbereitschaft. Das war ein kleiner Irrtum.
»Kennen Sie denn nicht irgend jemanden, der Richard nahesteht und ihm ein bißchen gut zureden könnte?« fragte Mr. Greenleaf ziemlich kläglich.
Buddy Lankenau vielleicht, dachte Tom. Aber ein Geschäft wie dieses sollte nicht gerade Buddy in die Finger bekommen. »Ich fürchte, nein«, sagte Tom und schüttelte den Kopf. »Warum will Richard denn nicht nach Hause kommen?«
»Er sagt, er zieht das Leben drüben vor. Aber es geht seiner Mutter jetzt wieder sehr gut . . . Ach, das sind Familienprobleme. Es tut mir leid, daß ich Sie damit belästige.« Geistesabwesend strich er sich über sein dünnes, säuberlich gekämmtes graues Haar. »Er sagt, daß er malt. Das ist ja nicht schlimm, aber er hat nicht das Zeug zu einem Maler. Er hat großes Talent zum Schiffskonstrukteur, wenn er nur wollte.« Er blickte auf, als ein Ober ihn ansprach. »Scotch und Soda, bitte. Möchten Sie nicht auch etwas?«
»Nein, danke«, sagte Tom.
Entschuldigend sah Mr. Greenleaf ihn an. »Sie sind der erste von Richards Freunden, der bereit ist, auch nur zuzuhören. Sie stellen sich alle auf den Standpunkt, ich wollte mich in Richards Angelegenheiten mischen.«
Das konnte Tom sehr gut verstehen. »Ich wünschte
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