Tom Thorne 02 - Die Tränen des Mörders
um ihn in dem Augenblick aus den kalten, finsteren Fluten zu ziehen, in denen er unterzugehen drohte.
Achtzehntes Kapitel
Sie trafen sich in einem Pub auf der Isle Of Dogs, das »The Mariners Arms« hieß.
Nichts Besonderes. Dicke Nylonteppiche, ein Dart Board, Bier. Mittwochmittag, und außer Thorne und Perks waren nur zwei weitere Leute anwesend: der Mann hinter dem Tresen – nach den blondierten Haaren und der Akne zu urteilen ein Student –, der den kleinen Fernsehapparat über der Theke nicht aus den Augen ließ; und ein verhutzelter Greis mit einem abgegriffenen, braunen Filzhut, einer Zeitung und einem halben Guinness vor und einem grimmig dreinblickenden Schäferhund neben sich.
Während sie sich ihre Biere vorknöpften und auf die zwei Käsesandwichs warteten – es muss noch jemanden gegeben haben, wohl in der Küche, denn die Sandwichs tauchten schließlich auf –, unterhielten sie sich über die Fahrt hierher. Der Pub war Perks’ Idee gewesen. Er hatte nicht zu weit wegfahren wollen von der kleinen Wohnung in Epping, in der er und seine Frau sich zur Ruhe gesetzt hatten. Als Perks erwähnte, wo er wohnte, hatte Thorne von seinem Glas aufgesehen, nur eine Sekunde, doch Perks war klar, was ihm durch den Kopf schoss. Diese Gegend hatte nun mal einen gewissen Ruf.
»Stimmt schon. Ich verbringe meinen Ruhestand an dem Ort, an dem die meisten der Schurken landeten, hinter denen ich all die Jahre her war. Einen oder zwei treffe ich gelegentlich. Wenn sie sich eine Zeitung kaufen oder unten im Gartencenter. Wir sagen Hallo …«
Mit dem Midlands-Akzent hatte Thorne richtig gelegen: Birmingham, vielleicht auch Coventry. Perks war hoch gewachsen, sein Gesicht schmal und voll tiefer Falten. Doch Thorne vermutete, dass das ebenso sehr am Lachen lag wie an den Sorgen. Er war Anfang sechzig, trug die grauen Haare kurz geschnitten, einen Schnurrbart und unter dem Kurzmantel Hemd und Krawatte.
Perks steckte sich das letzte Stück seiner Käsesandwichs in den Mund, wischte sich mit der Papierserviette die Krümel aus dem Gesicht und sah Thorne in die Augen.
»Sie haben sie nicht gefunden. Sie haben Karen nicht gefunden, sonst hätten Sie es mir inzwischen gesagt.«
Thorne aß noch. Er schluckte schnell hinunter. »Nein. Aber ich habe vor, sie zu finden.«
Perks stand auf und ließ den Blick auf der Suche nach der Toilettentür durch den Gastraum schweifen. Bevor er ging, sah er hinunter auf Thorne.
»Das hatte ich auch …«
Später spazierten sie den Fluss entlang nach Osten. Der Nieselregen war ziemlich nervig – zu fein, um einen Schirm zu rechtfertigen, aber genug, dass sie nicht umhinkamen, die Augen zuzukneifen und die Schultern hochzuziehen. Nur ein paar Meter entfernt waren die billigen Sozialwohnungen aus den sechziger Jahren, schäbig und deprimierend. Auf dem gegenüberliegenden Ufer befanden sich auf der Anhöhe das Greenwich Observatory, das Royal Naval College und das Cutty Sark .
Sie gingen gemächlich. Nicht Thornes übliches Tempo. Unter ihnen rülpste und schmatzte und glitt der Fluss kanonengrau vorbei. Vor ihnen, auf der gegenüberliegenden Seite, ragte, vor sich hin rostend und lächerlich, diese bizarre Monstrosität, der Millennium Dome, aus dem Nieselregen auf. Eine Million und mehr pro Woche, so schätzten sie, verschlang das Ding, nur um leer rumzustehen .
»Das ist alle paar Monate ein ordentliches Krankenhaus«, sagte Perks. »Alle paar Wochen eine Schule.«
»Glaubten Sie, dass sie noch am Leben war?«, fragte Thorne. »Als Sie nach ihr suchten?«
Perks wandte sich dem Fluss zu, dem Wind. Als er schließlich anfing zu sprechen, musste Thorne sich anstrengen, um ihn zu verstehen. »Eine Woche, vielleicht zwei, hofften wir es. Wahrscheinlich glaubte ich länger daran als alle anderen. Das gehört zu meinem Job, nehm ich an.«
Thorne ging noch zwei Schritte weiter, bevor ihm auffiel, dass Perks stehen geblieben war. Er wandte sich um und ging zu ihm zurück. »Sie ist gesehen worden, stimmt’s?«
»Mehrmals. Das ist allerdings immer so. Entweder ist der Wunsch der Vater des Gedankens, oder die Leute sind einfach bösartig. Lässt sich in der Situation selbst immer schwer sagen. Doch in einem Fall …«
»Carlisle?«
Perks nickte und wischte sich mit dem Handrücken, der in einem braunen Lederhandschuh steckte, den Regen aus dem Gesicht. »Genauer gesagt, ein paar Kilometer außerhalb. Drei Tage, nachdem sie vermisst wurde. Das wog schwer. Die Beschreibung der Kleidung
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