Tom Thorne 02 - Die Tränen des Mörders
beruflicher noch in jeder anderen Scheiß-Hinsicht.«
»Niemand versucht dir zu sagen …«
»Ein bisschen Gepoppe und Gegrabsche auf dem Parkplatz gibt dir noch lange nicht das Recht dazu, okay? Und ich habe nicht gehört, dass du dich neulich beschwert hättest, als du auf dem Badezimmerboden über mich hergefallen bist. Rumgestöhnt und mich ständig gegen die Kloschüssel geschoben hast …«
»Ich will doch nur …«
»Lass es einfach. Während der Arbeit mach ich’s nicht.«
Auf das einmalige Klopfen folgte sofort das Öffnen der Tür. Sie drehten sich beide gleichzeitig um. McEvoy trat instinktiv einen Schritt auf die Tür zu. Weder sie noch Holland hatten die geringste Ahnung, ob der Mann in dem schicken Anzug mit dem zurückgekämmten, gegelten Haar, der ins Büro trat, etwas von ihrem Streit mitbekommen hatte, und während des nun folgenden Gesprächs dachten beide an nichts anderes.
»Ich suche McEvoy.«
»Ich bin Detective Sergeant McEvoy. Hat man Ihnen nicht beigebracht, wie man anklopft?«
»Ich habe angeklopft.«
»Man klopft, dann wartet man, bis man aufgefordert wird einzutreten, und dann betritt man das Zimmer. So verdammt einfach ist das.«
»Wer hat schon Zeit für so was? Ich bin Detective Chief Inspector Lickwood von Serious Crime Group East.« Er warf seinen Mantel auf einen Stuhl und streckte die Hand aus. »Am Telefon wirken Sie ganz anders.«
Thorne stieg in Island Gardens in die Docklands Light Railway, die eine Zeit lang dem Greenwich Meridian folgte. Hier lief ein gepflasterter viktorianischer Fußweg am Fluss entlang, auf dem man in der Nähe von Cutty Sark ans Südufer gelangte.
Wie im Flug ratterte der Zug durch das Herz der Canary Wharf; der Anblick, der sich Thorne dabei bot, war ebenso atemberaubend wie der Ausblick vorhin über die Themse.
Eine bizarre Reise. Ein paar Minuten trennten einen der ältesten Teile Londons von den brandneuen Bauvorhaben, die die Skyline für immer verändern würden: vom Teeklipper aus dem neunzehnten Jahrhundert im Trockendock von Greenwich zu der zwölf Meter langen Yacht in Limehouse Basin; von der klassischen Eleganz des Queen’s House zu der vollkommen anders gearteten Schönheit des neuen Wolkenkratzers, der in wenigen Tagen das höchste Gebäude der Stadt sein würde; binnen weniger Minuten von Stuck und Schieferdach zu Stahl und verspiegeltem Glas.
Die Docklands Light Railway kam einer Zeitmaschine so nahe, wie das möglich war.
Jetzt lag eine weitaus kürzere Reise in die Vergangenheit vor Thorne. Nur ein winziger Hüpfer, siebzehn Jahre, zurück in den Sommer 1985.
Ein heißer Sommer. Live Aid, französische Nukleartests, Brixton kurz vor dem Überkochen. Detective Constable Tom Thorne, frisch verheiratet, in einem muffigen Vernehmungszimmer zusammen mit einem Mann namens Francis Calvert. Ein Augenblick, der alles verändern sollte.
Und ein junges Mädchen, das, während Thorne sich bemühte, den Geruch des Todes aus seiner Kleidung zu bekommen, in ein Auto stieg oder auch nicht. Ein Mädchen, dessen Bild immer kleiner wurde und schließlich von den Titelseiten verschwand, als größere Storys darauf explodierten. Ein Mädchen, das so gut wie sicher allein und voller Angst an einem warmen Sommerabend starb, während die Menschen im Wembley Stadium tanzten, auf der Electric Avenue in Brixton Molotowcocktails warfen oder wie Tom Thorne zu Hause saßen und sich bemühten, den Rest der Welt auf Distanz zu halten.
Thorne legte den Kopf in den Nacken und sah zum Fenster hinaus. Mauern und Fenster und graffitibedecktes Metall sausten an ihm vorüber. Vor siebzehn Jahren, als Karen McMahon verschwand, war er woanders gewesen. Jetzt endlich könnten sie einander vielleicht helfen.
Der Zug ratterte weiter Richtung Banks, wo er umsteigen musste: mit der Northern Line zurück nach Hendon und ein paar Stunden im Büro, bevor er später wieder Richtung Südostlondon fahren würde.
Er schloss die Augen und stellte sich vor, wie er mit zwanzig Jahren mehr auf dem Buckel in einem miesen Pub säße oder mit einem von sich selbst besoffenen Gernegroß den Fluss entlangliefe; einem energischen Detective Inspector in den Dreißigern, der ganz wild darauf war, ihm auseinander zu setzen, wie vollkommen falsch er damals alles angegangen und den Fall in den Sand gesetzt hatte. Den Fall, den sie jetzt wieder neu aufrollten. Und wie sie seine Fehler endlich ausbügelten …
Er stellte sich vor, wie er lächelte und sagte, es reicht, Kumpel,
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