Tom Thorne 02 - Die Tränen des Mörders
aber nun würde ich gerne wissen, über welchen Fall Sie reden. Über welchen Scheißfall, den ich verbockt habe.
Es ist eine verdammt lange Liste …
Später, als er sich Her Majesty’s Prison Belmarsh näherte, drängten sich wie üblich Gedanken über Do-it-yourself- und Gartenarbeiten in den Vordergrund. Hier konnte er nicht anders, ihm fielen einfach diese billigen Ladenmonstrositäten mit angeschlossenem Lagerhaus wie B&Q ein, das er von seinem Bürofenster aus sehen konnte, wenn er Pech hatte und der Tag klar war. Belmarsh wirkte, als sei es einem Staatsgefängnis im amerikanischen Stil nachempfunden: zweckmäßig und funktional. Obwohl die großen alten Viktorianischen Gefängnisse wie Strangeways und Brixton zweifelsohne schmutzig und überbelegt waren, kam Thorne nicht umhin, sie etwas … charaktervoller zu finden.
Nicht dass der Charakter ausschlaggebend gewesen wäre.
Diese bizarre Londoner Mischung aus Alt und Neu war hier wieder zu spüren, umgab Thorne auf seiner Fahrt nach Süden, vom Marschland um Greenwich durch Charlton zu der Gegend, wo sich das Gefängnis befand, irgendwo zwischen Woolwich und Thamesmead. Eine gerade Straße, die am Fluss entlang verlief. Und obwohl die Gegend nicht gerade pittoresk war, Abwechslung bot sie allemal. Auf der rechten Seite befand sich, etwas von der Straße zurückgesetzt, eine Reihe umgebauter viktorianischer Baracken und militärischer Gebäude. Dunkel und verrußt und das Gelände höchstwahrscheinlich verseucht von hundert Jahren Öl und Geschützen. Zu Thornes Linken reihten sich, während er unter einem um vier Uhr bereits düsteren und dunkel werdendem Himmel entlangfuhr, billige Reihenhäuser aneinander. Genau die Sorte, die von dem Typ mit dem kantigen Kinn und der tiefen Stimme angepriesen wurde, der in einem Helikopter herumbrauste. Rote Klinker und grüne Dächer, die so gut wie sicher früher in sich zusammenfallen würden als die etwas finstereren Gebäude auf der Straßenseite gegenüber.
Dann kam das Gefängnis selbst. Es war nicht weniger sicher als alle anderen Gefängnisse des Landes. Hatte mal Jeffrey Archer und mal Ronnie Biggs beherbergt und jeden Terroristen, der sein Geld wert war. Niemand war jemals daraus entkommen. Niedrig und grau und grimmig und mitten im Blickfeld einer weiteren Sozialsiedlung. Thorne war sich nicht sicher, wer den grässlicheren Ausblick hatte: die unglücklichen Familien in ihren netten neuen roten Klinkerhäusern oder die Gefängnisinsassen …
Es dauerte mehr als eine halbe Stunde von dem Augenblick an, als Thorne zum ersten Mal am Schalter im Besucherzentrum seinen Berechtigungsausweis vorzeigte, bis zu dem Augenblick, als er in dem Besuchszimmer Platz nahm, um auf Martin Palmer zu warten.
Eine in die Länge gezogene und reglementierte Prozedur. Von dem Besucherzentrum, in dem Thorne sämtliche persönliche Habe in einem Schließfach zurücklassen musste, in das Hauptgebäude, wo seine Berechtigung erneut geprüft und ein ultravioletter Stempel auf seinen Handrücken gedrückt wurde. Dann in einen Hof, wo sein Pass noch einmal überprüft wurde, durch eine elektronische Schleuse, ein Glaslabyrinth und einen luftdruckkammerartigen Durchgang – eine Tür schließt sich, bevor sich die nächste öffnet. Und dann das Warten auf den Van, der die Besucher zu dem getrennten Gebäudekomplex brachte. Sobald sie dort ankamen, wurden ihre Berechtigungen erneut überprüft, und eine weitere elektronische Schleuse harrte ihrer. Wieder wurde jede Menge geguckt und geknurrt, bevor Thorne endlich in den kleinen, rechteckigen Besucherraum geführt wurde.
Dann hieß es wieder warten. Diesmal hing die Wartezeit ausschließlich von der Stimmung des verantwortlichen Gefängniswärters ab. Es war immer das Gleiche, und es kotzte Thorne ungemein an. Polizisten und Gefängnisbeamte waren alte Feinde. Die einen fingen die Ganoven, und die anderen passten auf sie auf, und sie konnten einander nicht ausstehen. Die Gefängniswärter galten als die bei der Polizei Abgeblitzten. Und die Polizisten als die Lieferanten mit der schicken Uniform und den sauberen Händen. Ließ sich im Zuständigkeitsbereich der Gefängnisbeamten etwas umständlicher und komplizierter gestalten, wurde das in der Regel auch getan.
Zehn Minuten später führte ein heftig tätowierter und tief deprimierter Gefängniswärter Martin Palmer ins Zimmer. Palmer kam herüber und setzte sich Thorne gegenüber an den Tisch. Der Gefängniswärter, der in
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