Tom Thorne 02 - Die Tränen des Mörders
zumindest ein kleines Lächeln. »Die meisten von ihnen machen ohnehin einen Bogen um mich …«
»Möchtest du noch eins?« Thorne schüttelte den Kopf. Hendricks drehte sich zur Bar um und hob die Hand, um die Bedienung auf sich aufmerksam zu machen.
Die meisten von ihnen. Steve Norman war geradewegs auf ihn zumarschiert und hatte Thorne zehn lange Minuten die Ohren voll gequatscht. Ganz wild darauf, ihm lang und breit zu erklären, wie schwer er schufte. Entzückt, dass er nach den deprimierenden Wochen mit Nicklin und Palmer nun endlich was Positives vorzuweisen hatte – die McMahon-Entdeckung und die Hotelmorde. Er hatte zwei Tomatensäfte getrunken, bevor er sich wieder auf den Weg machte, um eine Pressemitteilung über die brillante Operation vorzubereiten, die zur Festnahme von Jason Alderton geführt hatte.
Hendricks war zurück an Thornes Seite, ein Bier in der Hand und mit einem verstimmten Ausdruck im Gesicht. »Für die müssen wir jetzt zahlen. Wie viel hat Brigstocke an der Theke hinterlegt?«
»Zweihundertfünfzig. Die reichten etwa fünfzehn Minuten.«
Eine Zeit lang sprachen die beiden kein Wort. Sie standen nur da und sahen zu, wie Polizisten jeden Dienstgrads und jeden Alters einen momentanen Triumph auskosteten. Abgewetzte Bomberjacken und Fleecepullis mit einer Flasche Lager. Hemden mit schmuddligen Kragen und einer Weihnachtskrawatte verschütteten Pils. Schicke Anzüge mit Weinschorle. Frauen, die härter waren, als sie aussahen, und Männer, die ein gutes Stück jünger waren. Alte Haudegen aus den Einsatzgruppen, die kurz vor der Pensionierung standen, und Möchtegerncracks aus dem West End, die ihren Audi auf dem Behindertenparkplatz abstellten und redeten, als wären sie einem Guy-Ritchie-Film entsprungen.
Ein paar Stunden des Als-ob, des Vergessens. Und dann zurück in die Tretmühle.
Die Met blutete aus. Sie verlor pro Tag bis zu fünf Polizisten. Es überraschte Thorne, dass es nicht zehnmal so viele waren. Und es verwunderte ihn, dass er nicht dazugehörte. Er war dafür wohl zu stur oder zu dumm oder ein zu großer Angsthase.
»Euch läuft nichts weg, Tom«, sagte Hendricks. »Ein paar Stunden, in denen man feiert, machen keinen Unterschied. Trink was und fang den Arsch ein andermal …«
Schmunzelnd leerte Thorne sein Glas und dachte: Morgen sind wir einen Tag näher an der nächsten Leiche. Ein paar Stunden machen vielleicht den entscheidenden Unterschied aus.
Der Lunch war entsetzlich. Mit Leuten reden müssen, essen und lächeln. Ein Gesicht aufsetzen, als interessiere man sich für ihr hohles Gefasel. Es war so schwer heute, wo noch so viel Aufregendes vor ihm lag.
Sonst war das natürlich kein Problem für ihn, das war Routine. Und spielte nicht jeder in gewisser Weise Theater? Sagte, es sei ihm egal, ob er den blöden Job bekommt oder nicht, und würde in Wirklichkeit einen Mord begehen, um ihn zu ergattern. Erklärte, er wolle befreundet bleiben, wenn er in Wirklichkeit schon längst jemand anders vögelte. Trug nicht jeder eine Maske?
Doch an den Tagen, an denen er mordete, war es in gewisser Weise immer so. Die dröge Konferenz fiel ihm ein, damals an dem Tag, als er das chinesische Mädchen umbrachte. Die konzentrierte Miene, die er aufgesetzt hatte, während er nur daran dachte, wie sie wohl aussah und wie es sich anfühlen würde. Er spürte noch Carolines Mund an seiner frisch rasierten Wange, als sie ihm an dem Morgen einen Abschiedskuss gab, an dem er Ken Bowles einen Besuch abstattete. Er hatte ihren Kuss lächelnd erwidert, sie hatten darüber gesprochen, was sie am Abend essen wollten, und die ganze Zeit über konnte er das herrliche Gewicht des Schlägers in der Tasche spüren …
Das hier würde noch besser werden. Dieses Mal fiel es ihm schwer, die Leute nicht zu packen und es ihnen ins Gesicht zu schreien. Ihnen genau zu erklären, was er vorhatte, wie brillant er alles eingefädelt hatte, wie klasse es sich anfühlen würde. Er spürte bereits, wie sich der Kick aufbaute. Wie die Maske zu verrutschen begann.
Jemand sprach ihn an. Er erwiderte etwas. Er steckte sich etwas Geschmacksneutrales in den Mund, warf einen Blick auf die Uhr.
Er brauchte etwas Zeit für sich. Nur eine halbe Stunde oder so, für eine Tasse Kaffee und einen Schokoriegel. Um sich zu sammeln, bevor das Abenteuer begann.
Thorne sah auf, und sein Blick fiel auf Holland, der langsam auf ihn zukam. An seinem Gesicht konnte er ablesen, dass Holland sich ebenso wenig
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