Tom Thorne 02 - Die Tränen des Mörders
Verantwortliche war abgetaucht.
Zwei Fälle, eine Verhaftung. Eine Erfolgsquote von fünfzig Prozent. Und die Zahlen würden ab jetzt nur schlechter werden. Es kursierte der Witz, der Hotelfall würde in ein paar Wochen ohnehin an die Graue Zelle weitergereicht werden, doch Thorne sah das anders. Jeder, der es so sehr genoss wie dieser Kerl, anderen Schmerzen zuzufügen, musste es wieder tun. Irgendwo würde er wieder auftauchen. Der Modus Operandi wäre dann vielleicht vollkommen anders, doch Thorne hegte nicht den geringsten Zweifel daran, dass er in nicht allzu langer Zeit irgendwo einem Pathologen zu ein paar Überstunden verhelfen würde.
Thorne nahm seinen Kaffee mit hinüber zum Sofa und schnappte sich die Akte über Carol Garner. Einige Minuten saß er einfach nur da, ohne sie zu öffnen, und schaute hinaus in den Regen, dachte nach über die Hunderte, Tausende von Menschen, die in der Hauptstadt ihren Lebensunterhalt dem gewaltsamen Tod eines anderen verdankten. Dachte nach über das Geld, das mit Mord verdient wurde.
Dachte nach über die Tötungsindustrie.
Dave Holland blickte über den Rand seines Monitors hinüber zu Sarah McEvoy, die konzentriert den ihren studierte. Er dachte nach über seine Freundin Sophie.
Ihr alter Streit, der seit zwei Jahren ein Thema war, war wieder aufgeflammt. Sophie hatte ein Problem mit Thorne. Sie hatte ihn nur einmal getroffen, und die Meinung, die sie sich über ihn gebildet hatte, beruhte ausschließlich auf dem, was Holland selbst am Anfang ihrer Arbeitsbeziehung über ihn erzählt hatte. So war der Mann, den Holland vor einem Jahr als »besessen« und »arrogant« beschrieben hatte, in Sophies eigenartiger Vorstellungswelt zu einem verrückten, nur auf den eigenen Vorteil bedachten Sturkopf geworden, dessen Weigerung, sich an die Vorschriften zu halten, ihn eines Tages nicht nur die eigene Karriere kosten, sondern alle Leute in seinem Umfeld mitreißen würde. Alle, die es nicht besser wussten …
Es war nicht so, dass sie Hollands Job rundweg ablehnte. Sie wollte nur, dass er ihn auf eine ganz bestimmte Weise erledigte. Dass er die Sorte Bulle war, die in Deckung bleibt und befördert wird und die allgemein beliebt ist. Ein Bulle, der nur seine Arbeit macht und nicht mehr.
So wie sein Vater.
Einmal hatte sie durchklingen lassen, dass er, falls er sich für einen anderen Weg entschiede, diesen allein gehen müsse. Er war wütend gewesen wegen dieser Drohung, und das Ultimatum war stillschweigend in Vergessenheit geraten.
Zumindest taten sie beide so.
Bei diesen Streits ging es niemals laut zu. Sie waren beide ziemlich stur und fraßen alles in sich hinein. Es lief eher über Seitenhiebe und bissige Bemerkungen, die schlagartig zunahmen, als der neue Fall begann. Gestern, nach einem hektischen Tag, der mit einer Einsatzbesprechung begonnen hatte, hatte Sophie ihn über den Küchentisch hinweg angelächelt und die Schlacht eröffnet.
»Na, wie vielen Leuten hat der große Tom Thorne denn heute eins vor den Latz geknallt?«
Er war sich nicht sicher, was ihn an der Sache am meisten aufregte. Ihre Sicherheit, dass sie, was seine Karriere betraf, am besten Bescheid wusste? Die mangelnde Unterstützung? Oder die Tatsache, dass sie, was ihre Einschätzung von Thorne betraf, in den meisten Fällen absolut richtig lag?
McEvoy sah von ihrem Monitor auf und fixierte ihn mit ihren strahlenden grünen Augen. Erwischt.
Sie war groß, einen Meter siebzig oder fünfundsiebzig, hatte schulterlange, braune Locken, eine gebrochene Nase und volle Lippen, die schnell und, wie Holland fand, häufig lachten. Im Augenblick, vermutete er, lachte sie aus mindestens drei verschiedenen Gründen.
Die ihm allesamt ein Rätsel waren.
»Ich habe heute etwas äußerst Seltsames gehört.« Ihr Familienname täuschte, sie war eine waschechte Jüdin aus dem Norden Londons, mit einem eher flachen, harten Akzent. Einem sexy Akzent. »Ein böses Gerücht über das Stehaufmännchen …« Dieser Spitzname spielte auf Thornes Figur an, bei der man sich nur schwer vorstellen konnte, ihn zu Fall zu bringen.
Holland zog die Augenbrauen hoch. Noch ein Gerücht? Was Thorne betraf, kannte er die meisten, aber er hatte, wie andere auch, eine Schwäche für eine gute Story oder etwas Klatsch.
»Ich habe gehört, er steht auf Countrymusic. Stimmt das?«
Holland nickte, als gelte es, die Diagnose einer lebensbedrohlichen Erkrankung zu bestätigen. »Ja, absolut.«
»Mit dem ganzen Yee-ha und Dolly
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