Tom Thorne 02 - Die Tränen des Mörders
Fenstern verbotenerweise gemeinsam eine Zigarette rauchten. Wobei der Geruch der Zigaretten nie ganz diesen sauren Geruch von Schweiß überdecken konnte, der fett und ranzig in dem Gewebe der billigen Hemden und verknitterten Sakkos hing.
Den ganzen Tag malte er sich das während der Arbeit aus, ob er alleine oder mit Kollegen zusammen war, an seinem Schreibtisch oder unterwegs. Jeder neue Gedanke, jedes frische Bild begeisterte ihn ungemein.
Doch es gelang ihm nicht, sich Thorne vorzustellen.
Sein Gesicht, ja, aber nicht dessen Ausdruck. Thorne war definitiv nicht der kopflose Schisser, aber er war auch nicht der Typ, der brütete und wartete, ohnmächtig und lahm gelegt. Thorne, da war er sich sicher, würde es am stärksten treffen, wenn die Leiche gefunden wurde. Wenn der Anruf kam und die Funken flogen.
Das konnte sicher nicht mehr allzu lange dauern.
Für ihn verging der Tag wie im Flug. Er bezweifelte, dass er für Thorne auch nur annähernd so schnell verging.
»Verfluchte Scheiße …«
Auf dem Weg ins Büro – mit den zwei Tassen dampfenden Kaffees in der Hand – war Thorne Opfer des heimtückischen Killerschreibtischs geworden, der ihn hasste. Die blutige Schramme über einem von einem früheren Anschlag herrührenden blauen Fleck tat zusammen mit den Verbrühungen auf beiden Händen verdammt weh. Eine Sekunde lang glaubte er, sich übergeben zu müssen.
»Gib mir das Scheiß-Tesaband.«
Der angesprochene Polizist tat wie ihm geheißen, während Thorne sich einen Packen Papier vom Schreibtisch krallte und grimassierend zu Boden sank.
Brigstocke, der aufgeschreckt von den Flüchen aus seinem Büro kam, fand Thorne auf seinen Knien vor, wie er tonnenweise Druckerpapier um die Ecke des verhassten Schreibtischs klebte.
»Ich hol mir meinen Kaffee selbst, ja?«
»Quatsch!«
Brigstocke lachte. Diese Slapsticknummer tat ihnen wahrscheinlich allen gut. »Ich hoffe, Sie haben überprüft, dass es sich dabei nicht um wichtige … »
»Was?«
Brigstocke deutete auf die Schreibtischecke. »Das Papier. Wir wollen doch nicht, dass in sechs Monaten die Strafverfolgung in sich zusammenbricht, weil eine entscheidende Zeugenaussage an der Ecke eines Schreibtischs in Hendon klebt.«
»Scheiß drauf …«
Weiteres Gelächter war die Folge. Diesmal kam es von Holland und McEvoy, die kichernd wie Kinder in der Tür zu dem kleineren Büro standen. Thorne rappelte sich hoch und warf ihnen einen finsteren Blick zu, wobei er sich das Bein rieb.
Mann, tat das weh.
Wie ein Blitz schoss Thorne durch den Kopf, dass dieser Schmerz, so lächerlich der Anlass dafür sein mochte, das Erste war, was er seit Stunden wirklich gefühlt hatte. Der elektrisierende Schlag – die schmerzende Schürfwunde, das Prickeln der Brandwunde – setzte etwas in seinem Gehirn frei und lenkte unsanft seine Aufmerksamkeit darauf. Ein Gewirr von unklaren Aussagen und verschwommenen Bildern formte sich zu einer Frage. Etwas Glibbriges wurde mit einem Mal greifbar, und er hielt es fest.
Plötzlich begann Thorne laut loszudonnern.
»Wir ließen Palmer draußen, in Sichtweite, damit das Muster sich nicht ändert. Damit der zweite Mörder nicht in Panik ausbricht und abtaucht. Damit er weitermacht wie bisher. Doch jetzt geht er anders vor. Warum?« Zähneknirschend marschierte Thorne zurück in sein Büro. Brigstocke, Holland und McEvoy folgten ihm.
»Er hat sein Muster nicht wirklich geändert«, warf Brigstocke ein und schloss die Tür hinter sich. »Ich meine, die Details haben sich ständig geändert, von einem Mord zum anderen. Die Mordwaffen, die Örtlichkeiten Thorne ging ans andere Ende des Büros, lehnte sich gegen das Fenster und fixierte die anderen drei. »Aber es war immer eine Frau.«
Holland zuckte mit den Achseln. »Dreimal, ja. Das bedeutet dann wohl immer.«
»Ja, Holland, das bedeutet immer.« Er sprach langsam, betonte jedes Wort. Der nächste Satz beschrieb den Mann, hinter dem sie her waren, so vollständig, wie er es für nötig hielt. »Er tötet Frauen. Er brachte Palmer dazu, Frauen zu töten. Warum also plötzlich einen Mann?«
McEvoy runzelte die Stirn und erwiderte dann mit ruhiger Stimme: »Ich denke einfach, es gefällt ihm, die Einzelheiten zu variieren. Er macht diesen dummen Witz über Vorhersehbarkeit in der E-Mail …«
»Das ist der nächste Punkt. Der Witz kommt nicht echt rüber. Der ganze Ton hat etwas Gezwungenes. Nichts von dem, was er tut, wirkt beiläufig. Er will uns glauben machen, es
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