Tom Thorne 02 - Die Tränen des Mörders
sich danach zu sehnen beginnen – nach diesem Zusammenschnüren Ihrer Brust, diesem Rausch, der Sie dabei überkommt, der mitreißende Ruck, der durch Sie geht. Das Spinnenhafte daran, das zart und tödlich Ihren Körper hinaufstreicht, von Ihren Zehen bis zu einer Stelle hinter Ihren Augen, und ja, in der Leistengegend, immer da unten …
Inzwischen fürchten Sie sich davor, sich lebendig zu fühlen. Diese Angst ist das schrecklichste Gefühl der Welt, das allerschrecklichste, bis es nicht mehr da ist und Sie feststellen, dass es etwas noch Schrecklicheres gibt.
Das soll keine Entschuldigung sein, obwohl es sich bestimmt so anhört. Es ist nicht so einfach, wie ich es hier erzähle, das behaupte ich nicht. Was ich getan habe, war nicht einfach nur … eine Reaktion. Da war offensichtlich etwas Verdorbenes und Verzweifeltes in mir, das die Verhältnisse auf den Kopf stellen wollte, das anderen Angst einjagen wollte.«
Palmer schüttelte den Kopf, als wollte er seinem Alter Ego in der dunklen Scheibe widersprechen. »Nein. Nein, ich tat diese entsetzlichen Dinge, die ich tat, nicht nur , weil ich Angst hatte. Ich weiß nicht einmal, ob ich Angst vor ihm hatte oder Angst für ihn, stellvertretend. Er fürchtete sich vor nichts, verstehen Sie. Er fürchtet sich vor nichts …«
Thorne wollte sich nicht zu Palmer umdrehen, wollte ihn nicht sehen. Stattdessen fixierte er sein Spiegelbild: die traurig nach unten hängenden Mundwinkel, die trotz des schmutzigen Fensters und der schwachen Beleuchtung deutlich erkennbaren Tränen. In diesem Augenblick, und Thorne würde nie vergessen, wie sehr ihn das überraschte, erinnerte ihn Palmer an nichts mehr als an einen dieser gigantischen Bären in einem osteuropäischen Scheißkaff. Ein schwerfälliges Ding, ohne Klauen und ohne Würde, das mit einem eisernen Kragen und eiserner Kette tanzte, während die Blödmänner ringsum Münzen warfen und die, die es zu Hause in der Glotze sahen, noch größere Münzen warfen, um dem Ganzen ein Ende zu bereiten.
Nicht weniger überrascht war Thorne von seiner Stimme, als er das Wort ergriff. Am besten beschrieb es noch das Wort »beruhigend«, das so gar nicht zu der Wut passte, die er vor ein paar Minuten empfunden hatte. Was er sagte, war sowohl für Palmer tröstlich wie für ihn selbst.
»Wenn er da draußen ist«, erklärte Thorne, »sollte er sich fürchten.«
Palmer trat langsam vor und legte eine riesige Pranke auf das Fenster. Die Fingerspitzen wurden weiß, als er gegen die Scheibe drückte. Aus dem Augenwinkel beobachtete Thorne, wie Palmer in die Dunkelheit und auf seine Vergangenheit blickte: weit weg, ganz nah und irgendwo dazwischen.
»Er ist da draußen. Er war immer da draußen.«
Holland wachte auf und warf in panischer Angst einen Blick auf seine Uhr.
»Scheiße …«
Er hatte sich bereits vor eineinhalb Stunden vorgenommen aufzustehen, aber es war so einfach gewesen wegzudösen. Nun würde es einiges zu erklären geben. Er musste noch duschen und dann schleunigst hier raus.
Er musste nach Hause.
Als er die Badezimmertür öffnete und sie über das Waschbecken gebeugt sah, schoss ihm als Erstes durch den Kopf, ihr sei womöglich übel. Mit ausgestrecktem Arm trat er auf sie zu.
»Sarah …«
Sie drehte sich um ; das weiße Pulver über ihrer Oberlippe war deutlich zu sehen.
Sie starrten einander an. Er war nackt, Gänsehaut am ganzen Körper, und hatte die Arme um sich geschlungen. Sie trug einen weißen Morgenmantel, ihre Haare waren nass und ihr Mund schwebte zwischen zwei verschiedenen Ausdrücken.
Schließlich lächelte sie. »Willst du was?«
Holland stieß ein heiseres Lachen aus. Sein Mund bildete eine Frage, ein Warum oder Was , aber die Frage wollte nicht heraus. Er schlang die Arme noch fester um sich, biss die Zähne zusammen und fixierte die Fliesen im Bad, den abblätternden Kitt, bis er seine Sprache wiederfand.
»Sieht so aus, als würde ich weitaus schneller Sergeant, als ich dachte …«
McEvoys Lächeln verschwand, und sie wandte sich ab. Sie betrachtete sich selbst im Spiegel, schob sich näher heran und blinzelte. Mit einer schnellen, geübten Handbewegung wischte sie das Koks um ihre Nase weg, leckte den pudrigen Finger ab und sprach mit kaum verhohlener Wut zu seinem Spiegelbild.
»Ich brauche keinen Scheiß Vortrag, Holland. Kapiert?«
»Ich werde dir auch keinen Scheißvortrag halten«, entgegnete er gereizt. »Ich will nur duschen, und dann bin ich weg …«
Sie
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