Tom Thorne 03 - Die Blumen des Todes
rauchte seine Zigarette.
»Sie behaupten, Sie erinnern sich nicht daran, als dieses Foto gemacht wurde?«
»Manchmal ist es meinen Kunden lieber, ich bin nicht da. Sie verstehen, was ich meine? Womöglich werden Dinge fotografiert, von denen ich nichts wissen soll und von denen ich nichts wissen will. Außerdem werde ich gut bezahlt, also …«
»Blödsinn.« Thorne hielt das Foto Dodd vor die Nase. »Sehen Sie da ein Tier drauf? Kleine Jungs?«
Dodd schob Thornes Arm weg, schüttelte den Kopf.
»Das hier muss nicht unter dem Tresen verkauft werden. Es gibt eine ganze Serie davon, alle mehr oder weniger gleich, also fangen Sie an, sich zu erinnern, Charlie Dodd wurde langsam nervös. Er fuhr sich mit den Händen durch die öligen Haare. Als er redete, konnte Thorne den Blick nicht von einem weißen Spuckefaden abwenden, der ständig zwischen Ober- und Unterlippe hin und her wechselte. »Ich war nicht hier, okay? Sonst würde ich mich daran erinnern – ich kann mich an jede einzelne Session erinnern, die da oben läuft. Fragen Sie, wen Sie wollen. Wie Sie sagen, das Foto ist harmlos, warum sollte ich Ihnen was vorflunkern …?«
Auf dem Bett beugte sich das Mädchen, das gerade bearbeitet wurde, zur Seite, um seine Zigarette in einer Untertasse auszudrücken. Der Kameramann rückte näher heran. »Mach schon«, forderte er das andere Mädchen auf. »Steck ihr die Zunge in den Arsch …«
»Gut«, sagte Thorne. »Denken Sie darüber nach, wer Sie in letzter Zeit gebeten hat, sich während der Aufnahmesessions rar zu machen. So in den letzten sechs Monaten …«
»Mann, wissen Sie, wie viele Leute hier arbeiten?«
»Kein Stammkunde. Wahrscheinlich jemand, der nur einmal kam.«
»Ja, aber trotzdem …«
»Nur ein Mann und ein Mädchen. Denken Sie nach …«
Der Kameramann trat verärgert gegen das Bett und drehte sich zu ihnen um. »Herrgott noch mal, könnt ihr beiden nicht aufhören zu quatschen? Ich mach hier Tonaufnahmen …«
Das Mädchen, das seine Freundin leckte, hob den Kopf und wandte sich zu Thorne um. Das grelle Licht ließ ihr Gesicht noch leerer wirken, als es das Heroin bisher vermocht hatte. Dodd öffnete den Mund, um etwas zu sagen, und Thorne war dankbar für die Gelegenheit, sich das nicht länger ansehen zu müssen.
»Da war einer, vor vier oder fünf Monaten. War nur einmal hier, wie Sie sagten. Er wollte das Studio für ein paar Stunden. Normalerweise bleib ich selbst dann hier, wenn sie mich loswerden wollen, um die Beleuchtung einzurichten. Aber der Typ meinte, er wolle das alles selbst erledigen. Sagte, er wisse, was er tue.«
»Und das Mädchen?«
»Ein Mädchen hab ich nicht gesehen. Da war nur dieser Typ …«
»Ich brauch einen Namen.«
Dodd schnaubte ungläubig. »Ach ja, ich seh mal in den Akten nach. Vielleicht bitte ich auch meine Sekretärin darum. Scheiße …«
Thorne tat einen Schritt in Richtung Tür. »Schlüpf in deine Jacke, Charlie. Ich brauche ein Bild von diesem Scheißkerl, und ich hoffe um Ihretwillen, dass Sie ein ebenso gutes Gedächtnis für Gesichter haben wie für Ärsche und Titten …«
»Tut mir Leid, mein Freund, das wird nicht funktionieren. Deshalb erinnere ich mich ja auch an ihn. Zuerst dachte ich, er ist ein Eilbote, verstehen Sie. Der ein paar Negative vorbeibringt oder so. Von Kopf bis Fuß in Leder, vor dem Helm eine dunkle Motorradbrille …«
Thorne war sofort klar, dass Dodd die Wahrheit sagte. Dieses heftige Druckgefühl im Hinterkopf. Seine Glückssträhne endete im Nichts.
»Sie müssen ihn öfter als einmal gesehen haben. Er kam doch nicht einfach so vorbei …«
»Einmal, um zu buchen, und einmal am Aufnahmetag.«
Dodd klang jetzt fast ein wenig selbstgefällig. »Hab ihn allerdings nie zu Gesicht bekommen. Beide Male kam er in dieser Motorradkluft. Seh ihn noch vor mir, wie er draußen in dieser Lederaufmachung auf der Treppe stand, wie ein Killer, und darauf wartete, dass ich verschwinde …«
Drüben begann der Vibrator zu brummen. Die Kamera lief wieder.
Thorne drehte sich um und riss die Tür auf. Die Aussage konnte ebenso gut später aufgenommen werden. Wieder war er gegen eine Wand gelaufen, und die fühlte sich in diesem Augenblick genauso wirklich, genauso schwarz an wie die hinter ihm in diesem Ficksalon. Das Gesicht dieses Mädchens, als es den Kopf hob und ihn ansah …
Mund und Kinn glänzten, doch die Augen waren so dunkel und tot wie die des Fisches in der Auslage nebenan.
10. August 1976
Es war zum
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