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Tom Thorne 04 - Blutzeichen

Titel: Tom Thorne 04 - Blutzeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Billingham
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stör dich nicht weiter …«
    »Wie geht’s Jack?«
    »Gut. Alles in Ordnung, Tom …«
    Hendricks deutete auf die Uhr. Der letzte Zug fuhr in fünf Minuten.
    Thorne nickte und legte einen Zahn zu. »Treffen wir uns doch nächste Woche?«, sagte er. »Komm runter, und wir gehen essen. Auf Spesen.«
    »Klingt super. Also dann, bis nächste Woche …«
    »Pass auf dich auf, Carol. Phil lässt grüßen …«
    Sie hatte bereits aufgelegt.
    Am Bahnhof warteten sie auf den Zug nach Westen. Am Bahnsteig gegenüber liefen drei Jungs im Teenageralter auf und ab.
    »Sechzehn Gramm im Durchschnitt, hast du gesagt?«
    Hendricks sah ihn zunächst verständnislos an, bevor er schließlich nickte.
    »Ja …«
    »Was heißt das? Für einen Mann mittlerer Größe und mittleren Gewichts?«
    »Genau. Bei einer normal großen Frau wären es an die zwölf Gramm, nehm ich an.«
    Bei einem Kind wären es also weniger, dachte Thorne. Drei Viertel davon, also acht oder neun Gramm. Das ergab irgendwie keinen Sinn. Thornes Kopf begann sich zu drehen. Die Seele eines Kindes müsste doch mehr wiegen. Wir werden doch erst, wenn wir älter werden, verdorben und seelenlos …
    Acht oder neun Gramm.
    Ihr Zug rumpelte in den Bahnhof. Thorne sprach über den Lärm hinweg und meinte dabei sich selbst wie Hendricks.
    »Eine Hand voll Reis. Nein … sogar weniger. Ein paar Körner …«

Einundzwanzigstes Kapitel
    3. November 1986
    Wenn mich noch jemand anzüglich angrinst oder eine hintergründige Bemerkung macht wie: »Bald darfst du legal«, raste ich aus. Das ist, als sagen sie eigentlich: »Wenn du sechzehn bist, darfst du Sex haben, weißt du. Das ist vollkommen normal.« Ich würde sie am liebsten an den Armen packen und sagen: »Vielen Dank, das war mir gar nicht klar. Jetzt muss ich nur noch jemand finden, der verzweifelt genug ist, und dann brauch ich nur noch eine große Kotztüte, die ich mir über den Kopf stülpen kann.«
    Wieso vermuten die alle, dass ich darauf aus bin?
    Wieso vermuten die ständig irgendwas?
    Seit Tagen grüble ich darüber, wie ich M   &   D sage, dass ich lieber sterbe, als auf diese Party zu gehen, die sie für morgen planen. Der erste Geburtstag, seit ich aus dem Krankenhaus bin, seit der letzten OP. Als ob das eine große Sache wäre. Mir ist klar, sie wollen nur, dass ich mich amüsiere und normale Sachen mache. Und ich weiß einfach nicht, wie ich es ihnen beibringen soll.
    Ich will keine Party. Ich will nicht im Mittelpunkt stehen. Ich will diese ganze Verlogenheit nicht.
    Wenn ich wütend werde, lächeln sie nur. Sie verwöhnen mich ständig, und ich könnte dabei die ganze Zeit brüllen und alles zerdeppern. Ali und die anderen bekämen dafür ordentlich was aufgebrummt, mich fassen sie mit Samthandschuhen an.
    Als ob ich überall Narben hätte. Man mich nirgends berühren könnte.
    Ich möchte ausgeschimpft und bestraft werden. Ich möchte ihnen sagen, dass sie sich ihre Scheißparty in den Arsch stecken können, nur um zu erleben, wie sie einmal ausrasten, die Sache für gestrichen erklären. Aber immer, wenn ich wirklich ekelhaft werde, schauen sie sich nur an mit diesem Blick , der mich umbringt. Als fänden sie mein Verhalten in Ordnung und verzeihbar. Als wären düstere Klamotten und düstere Stimmung vollkommen normal für einen durchschnittlichen, horrormäßig entstellten Teenager.
    Wenn ich versuche, mit ihnen darüber zu reden, wie ich mich wegen diesem Geburtstag fühle, glauben sie nur, das ist ein Trauma, eine Reaktion, die durchaus verständlich ist, nach allem, was ich durchgemacht habe. Und dass ich es nicht wirklich so meine.
    Aber ich meine es so.
    Schon beim Gedanken an diese Party bricht mir der kalte Schweiß aus. Keiner hat davon die geringste Ahnung. Nicht mal Ali scheint zu kapieren, wovon ich rede. Sie erzählt mir ständig, wie witzig es wird und dass ich mich nicht so anstellen soll. Und dann will sie wissen, ob auch ein paar süße Kerle da sind.
    Ich weiß, M   &   D haben wahrscheinlich ein Vermögen für den Saal und die Disco und das alles ausgegeben. Und ich find das auch supernett von ihnen. Wenn ich auch nur eine Sekunde das Gefühl hätte, ich halte es aus, würde ich nichts sagen. Meinen Freundinnen beim Tanzen und Trinken und Sich-Verdrücken zuzusehen klingt klasse, aber ich weiß genau, was passieren würde.
    Ich bin mir sicher, irgendwann würde jemand das Bedürfnis haben, etwas zu sagen.
    Seit Wochen stelle ich mir das jetzt vor, seit sie es mir gesagt haben.

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