Tom Thorne 04 - Blutzeichen
Handy klingelte erneut, als das Auto über eine rote Ampel und auf die North Circular fuhr. Thorne warf einen Blick auf das Display, das »Holland Mob« anzeigte.
»Weiß schon«, sagte er. »Bin schon unterwegs zu Ryans Haus.«
Holland lachte. »Also bis gleich …«
Falls die Zarifs Ryan umgelegt hatten, ließ sich nur schwer voraussehen, wie sich die Dinge entwickeln würden. Thorne tippte, dass Stephen die Zügel an sich reißen würde, und er schien nicht gerade jemand zu sein, der vergibt und vergisst. Andererseits war sein aufbrausendes Temperament vielleicht das Einzige, was Billys Sohn und Erben auszeichnete, nach allem, was Thorne gesehen hatte. Möglich, dass er scheiterte und Ryan Properties implodierte. Damit eröffneten sich den Zarifs ganz neue Expansionsmöglichkeiten. Das ganze Chaos mochte ja mit einer Reaktion auf Ryans Versuch begonnen haben, seinen Einflussbereich auf ihr Gebiet auszudehnen. Aber Thorne fiel es schwer, zu glauben, dass Memet und seinnki8e Brüder sich auf das eingelassen hatten, ohne sich davon einen substanziellen Vorteil zu versprechen. Wie immer es ausging, die Veränderungen wären immens. Und es würde hart zugehen …
Thorne erreichte den Park von Finchley innerhalb von fünfzehn Minuten. Er kurvte mit dem BMW um die Grünfläche. Dabei musste er daran denken, wie er sich hier vor vierzehn Tagen mit Billy Ryan getroffen hatte. Thorne zeigte dem Polizisten am Eingang seinen Polizeiausweis und trat ein. Er betrachtete gerade die Blutspur, die sich auf dem Teppich entlangschlängelte, als ein weiterer Polizist vor ihm auftauchte.
»Ich bin DI Thorne. Wo ist der Notarzt?«
»Der kam und ist schon wieder abgefahren, Sir. Das Opfer war beim Eintreffen der Ambulanz bereits tot. Wenn Sie mich fragen, war er schon tot, als Sie anriefen …«
Ob Hendricks sich wohl schon angezogen hatte? »Wo ist er?«
Der Polizist deutete auf eine Tür im Gang.
Thorne ging darauf zu und ärgerte sich, aus dem Kofferraum keine Handschuhe mitgenommen zu haben. »Wurde der Tote identifiziert?«
»Ja, Sir. Nach Auskunft von Mrs. Ryan handelt es sich bei dem Toten um ihren Ehemann, William John Ryan.«
Thorne achtete darauf, auf keinen der Blutflecke zu treten, die immer größer wurden, je näher er der Tür kam. Die Tür war angelehnt. Er stieß sie mit dem Schuh ganz auf.
Ryan lag zusammengerollt in einer Ecke auf dem Küchenboden. Ein behaarter, rot gestriemter Unterarm war merkwürdig verrenkt an einem Schrank hochge reckt. Das ursprünglich weiße Hemd war blutgetränkt – dunkle Flecken drangen an der Schulter und in der Achsel durch die Seide. Die Wunde am Hals war ordentlich und blutete noch immer, die Fugen zwischen den Terrakottafliesen färbten sich allmählich rot.
Dazu brauchte man kein ausgebildeter Mediziner zu sein.
Thorne bemerkte den Polizisten, der zu ihm getreten war. Mit einem Blick auf Billy Ryan fragte er ihn: »Also, was ist passiert?«
»Seltsame Sache. Nach allem, was man hört, marschierte sie rein und rammte ihm das Messer rein. Wieder und wieder.«
Thorne fuhr herum. »Seine Frau brachte ihn um?«
»Nein, Sir. Nicht seine Frau.« Der Polizist wandte sich um und deutete mit einer Kopfbewegung zu der Tür, aus der er gekommen war. »Die andere Frau …«
Thorne stieß ihn zur Seite und lief, ohne ein Wort zu sagen, den Gang hinunter. Er spürte, wie ihm der Atem aus den Lungen wich, wie ein Geräusch in seinem Kopf anschwoll, ein Summen, als seien Wespen unter einer Tasse gefangen. Ihm war klar, was ihn erwartete …
Als Thorne ins Wohnzimmer trat, erhoben sich die beiden grimmig dreinsehenden Polizistinnen vom Sofa. Die Frau, die mit einer Handschelle an eine von ihnen gefesselt war, musste wohl oder übel mit ihnen aufstehen. Die Polizistin auf ihrer anderen Seite schaute Thorne abwartend an, während sie Alison Kelly mit der Hand am Ellbogen festhielt.
Thorne öffnete den Mund, um zu sprechen, schloss ihn jedoch wieder. Ihm fiel nichts ein, was er sagen konnte. Alison sah ihn ein, zwei Sekunden an.
Er war sich sicher, dass sie ihm kurz zunickte, bevor sie den Kopf senkte.
APRIL
UNSTERBLICHE HAUT
Zweiundzwanzigstes Kapitel
Vor ein paar Jahren war Thorne auf dem Weg zur Arbeit einem von Pferden gezogenen Leichenwagen begegnet, der ihm aus dem Nebel entgegenkam – ein Anblick, der ihn tief erschütterte. Er hatte am Straßenrand angehalten und zugesehen, wie das Ding an ihm vorbeiratterte. Der Atem hing den Tieren wie Rauch vor den weichen
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