Tom Thorne 04 - Blutzeichen
Seit sie mir erklärt haben, sie möchten eine Party geben, und es dann nicht so recht fassen konnten, als ich ihnen sagte, die Party sollte dann bitte möglichst ohne mich laufen. Manchmal stelle ich mir vor, es ist Dad, und dann wieder ist es eine meiner Freundinnen, meistens Ali. Die Musik hört auf, und dann ertönt dieses hohe Pfeifen aus den Lautsprechern, wenn sie dem DJ das Mikrofon entreißen. Dann kommt die Rede. Sie reden von Tapferkeit und reißen ein paar müde Witze, und alle tun so, als wären sie gut. Dann diese merkwürdigen Sekunden, wie sie nach jeder Rede kommen, wenn niemand was sagt. Und dann fangen alle an zu klatschen und starren mich an.
Alle. Starren. Mich. An.
Und die blasse Hälfte meines Gesichts, die glatte Hälfte, wird rot, bis sie dieselbe Farbe hat wie die vernarbte. Beide Hälften gleich rot, und ich brenne noch einmal.
Alle singen »Happy Birthday«, und Mum und Dad fallen sich in die Arme, und ein paar von meinen Freundinnen heulen, und sie stehen alle um mich rum und schauen mich an, wie ich im Lichtkegel stehe, und se hen so bescheuert drein, als wäre ich sechs Jahre alt.
Als wäre ich was Besonderes …
Thorne klappte das Tagebuch zu, ließ sich zurücksinken und drückte es an seine Brust. Er schlug es wieder auf, um das Foto herauszunehmen, das er als Lesezeichen verwendet hatte. Stellte sich vor, wie sie an einem trostlosen Novemberabend in die Dunkelheit huscht.
Wie die Musik, eine Wham-Nummer, hinter ihr leise verklingt, während sie aus dem Saal verschwindet, die Party hinter sich lässt und zu den Lichtern der Stadt eilt.
Noch immer wird sie nicht vermisst. Ihre Freunde tanzen, rufen einander über die Musik hinweg zu, während sie nach oben steigt.
In dem Treppenhaus aus Beton stinkt es nach Abgasen, und das Klappern ihrer Schuhe hallt von den Wänden wider.
Eine besorgte Frage und die ersten unruhigen Blicke von ihren Freunden, als sie, ein paar hundert Meter von ihnen entfernt, in die Kälte hinaustritt. In die frische Luft. Die Dunkelheit ihr verzweifelt entgegenschlägt. Die Nacht küsst sie auf die beiden Seiten ihres Gesichts, als sie durch sie hindurchstürzt …
Thorne zuckte leicht zusammen, als das Telefon klingelte. Elvis, aufgeschreckt durch die plötzliche Bewegung, hüpfte vom Bettende. Thorne sah auf die Uhr: 4:35.
Brigstocke hielt sich nicht mit Small Talk auf. »Wir haben Nachricht von einem Zwischenfall in Finchley.«
Thorne war bereits aus dem Bett. »Ryans Haus?«
»Genau. Eine Streife ist bereits vor Ort, aber anscheinend herrscht Chaos. Zumindest eine Person wurde verletzt, darüber hinaus wissen wir nicht viel.«
»Glauben Sie, Zarif schickte den X-Man zu Ryan?«
»Ich weiß so viel wie Sie, mein Freund …«
Thorne hüpfte durch das Schlafzimmer, schnappte sich Socken, eine Unterhose und ein Hemd. »Fahren Sie rauf?«
»Tughan ist unterwegs«, sagte Brigstocke, »aber Sie sind näher dran als er, Sie müssten ihn also schlagen.«
Thorne ging ins Wohnzimmer, wo er Hendricks bereits wach in seinem Bett fand. Thorne erzählte ihm, was passiert war.
»Soll ich mitkommen?«, fragte Hendricks.
Thorne war in die Küche gegangen. Er kam kopfschüttelnd zurück und stürzte ein Glas Wasser herunter.
»Bist du sicher? Ich bin in einer Minute angezogen …«
Thorne griff nach seiner Jacke und kramte in der Tasche nach dem Schlüssel. »Bringt nichts. Wir wissen noch nicht genau, was passiert ist«, erklärte er. »Aber wenn ich du wär, würde ich mich nicht noch mal hinlegen …«
Die Straßen waren so gut wie leer, als Thorne zum Archway-Kreisverkehr rauf und von dort weiter nach Norden fuhr. Er lag vielleicht über der Promillegrenze, fühlte sich aber klar im Kopf. Er sah die Rücklichter der anderen deutlich und die wenigen Autos aus den Seitenstraßen. Dachte weit voraus.
Er entschied sich für die Strecke durch Highgate, wodurch er die Parallelstraße vermied, die ihn unter der Suicide Bridge durchgeführt hätte. Diese eiserne Fußgängerbrücke, die schon vor langem John Nashs Viadukt – den ursprünglichen »Archway« – ersetzt hatte, war unter den Depressiven Londons eine der beliebtesten Stellen zum Springen. Wann immer es ging, nahm Thorne eine andere Route, da er sich jedes Mal unbewusst auf den Aufprall eines Körpers auf dem Auto gefasst machte.
Sosehr es ihm heute auch pressierte, mit den Seiten dieses abgegriffenen Tagebuches vor Augen blieb ihm gar nichts anderes übrig, als die Brücke zu meiden.
Sein
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