Tom Thorne 04 - Blutzeichen
vorwurfsvoll zu lächeln. »Ja, und wir wissen alle, wer wahrscheinlich am Galgen baumeln wird, oder?«
Thornes Gesicht war bis auf den Oberlippenbart aus Bierschaum ein Bild der Unschuld. »Ach ja? Das versteh ich nicht.«
Er verstand es sehr wohl, wollte es aber nicht kampflos eingestehen. Warum hatte er Carol Chamberlain überhaupt gebeichtet, was er bei Alison Kelly über Billy Ryan geplaudert hatte? Schon vor diesem Abend hatte er sich dazu durchgerungen, sich Chamberlain anzuvertrauen. Sogar bevor Alison Billy umbrachte. Am Bier konnte es also nicht liegen …
»Die Sexgeschichte verstehe ich noch«, sagte sie.
»Oh, wie nett …«
»Schließlich bist du ja ein Mann.«
»Genau. Ich bin ein hirnloses Tier und nur darauf aus, meinen Lümmel irgendwo reinzustecken.«
Chamberlain errötete leicht. »Das hast du gesagt.«
Der Hauch von Rot auf ihren Wangen brachte Thorne zum Schmunzeln. »Ich hab es ihr nicht erzählt, weil ich mit ihr geschlafen habe.«
»Und warum dann?« Sie beantwortete ihre Frage selbst. »Weil du ein Idiot bist.«
»Fangen wir nicht wieder damit an …«
Erschöpft schüttelte sie den Kopf und nahm einen Schluck Rotwein.
Ob Chamberlain, als sie noch aktiv im Dienst war, bei den Dingen, die sie sicher gehört oder gesehen hatte, auch rot geworden war? Oder handelte es sich um eine Reaktion, die man in bestimmten Situationen automatisch unterdrückte, so wie der Buchmacher das Mitleid oder eine Nutte den Würgereflex? Auf alle Fälle war sie bei weitem nicht so abgebrüht, wie sie oft vorgab.
»Du bist nur stinksauer, weil du es nicht warst«, sagte Thorne. »Weil du nichts damit zu tun hattest.«
»Ich bin wegen einer Menge Dinge stinksauer.«
Das klang nicht nach einer Aufforderung, weiter nachzufragen, oder dem Wunsch, das Herz auszuschütten. Thorne hielt den Mund und wartete ab, worauf sie hinauswollte.
»Aber du hast Recht«, fuhr sie fort. »Mir war klar, ich konnte bei der Ryan-Sache nicht wirklich mitmischen. So lieb du auch zu mir warst …«
»Carol, ich habe nie …«
Mit einer kaum merklichen Handbewegung brachte sie ihn zum Schweigen. »Und obwohl mir klar war, dass ich außen vor bin, hat mich das nicht daran gehindert, mir bestimmte … Szenarien vorzustellen.«
»Dass Ryan tot ist, meinst du?«
»Nicht nur tot. Ich habe daran gedacht, ihn selbst umzubringen. Ich habe viel darüber nachgedacht.«
Thorne hob eine Augenbraue. »Wie war’s?«
»Es war super.«
»Wie du ihn umgebracht hast oder das Gefühl dabei?«
»Beides.«
»Und die Wirklichkeit ist nicht ganz so gut …«
Sie zog ein Papiertaschentuch aus dem Ärmel und tupfte etwas verschütteten Wein vom Tisch weg. »Das Endresultat ist nicht richtig. Dass Ryan tot ist.«
Genau darüber hatte Thorne sich auch schon den Kopf zerbrochen, es von jedem Blickwinkel aus betrachtet und in jedem nur vorstellbaren Licht gesehen. »Denkst du nicht, er hat für das bezahlt, was er getan hat?«
Chamberlain sagte nichts darauf.
»Hör zu, das Gesetz hätte seinen Lauf nehmen und Tughan oder jemand anders hätte Glück haben können, und dann wäre Billy Ryan vielleicht in fünf Jahren in Belmarsh oder Parkhurst der Gockel auf dem Mist gewesen. Ich sage nicht unbedingt, dass das, was passiert ist, richtig ist oder dass er es verdient hat. Wie zum Teufel könnte ich das, nachdem … was ich damit zu tun habe? Aber es tut mir Leid, ich bedaure nicht im Mindesten, dass er tot ist.«
Das Leuchten in Chamberlains Augen, als sie über ihre Mordfantasien an Billy Ryan gesprochen hatte, war verschwunden. An seine Stelle war etwas Wärmeres, Gedämpfteres getreten. »Ich bin auch nicht gerade untröstlich deshalb.«
Thorne hob sein Glas. »Und vergessen wir nicht die erhebliche Einsparung an Steuergeldern. An unserem Geld. Oder die Tatsache, dass überbezahlte Anwälte jetzt vielleicht ein bisschen länger auf das neue Cabrio oder den Luxusurlaub warten müssen …«
Chamberlain machte keine Anstalten, sein Lächeln zu erwidern. »Das Ergebnis ist unbefriedigend, weil wir ihn nie kriegen, wenn Ryan tot ist. Wie sollen wir je herausfinden, wem Ryan das Geld gegeben hat? Und wer Jessica verbrannt hat?«
Mit einem Mal schmeckte das Bier in Thornes Mund schal. Er schluckte es schnell herunter, um den bitteren Geschmack loszuwerden. Er spürte, wie sich die Flüssigkeit in seinem Magen breit machte, zäh und schwer wie Zweifel. Wie Schuldgefühle.
»Warum hast du es ihr gesagt, Tom?«, fragte Chamberlain. »Wenn es
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