Tom Thorne 04 - Blutzeichen
Mänteln vorbei, von denen sich einige einen Namen mit Bestsellern über echte Kriminalfälle gemacht hatten. Zweifelsohne fühlten sie sich geehrt, bei Billys Beerdigung Wache schieben zu dürfen. Sicherheitsleute und eine bunte Mischung aus Fernsehsternchen und Sportstars aus der zweiten Reihe gehörten zu einer traditionellen Ganovenbeerdigung einfach dazu.
Thorne blieb neben einem großen Mülleimer aus Metall stehen. Er floss über von Plastiktüten, Blumentöpfen und welken Blumen. Dagegen gelehnt stand ein Mann, den er hier nicht erwartet hatte. »Gibt es einen speziellen Grund für Ihr Erscheinen?«, fragte Thorne.
Ian Clarke hielt einen großen Kranz aus weißen Lilien in der Hand. Er trug Jeans und eine dunkelblaue Jacke über einem braunen Polohemd. Thornes Frage amüsierte ihn anscheinend sehr. »Welchen Grund sollte es schon geben? Ich war auch auf Kevin Kellys Beerdigung. Das war das Mindeste, was ich tun konnte.«
Thorne überlegte, ob Clarke womöglich gewusst hatte, welche Rolle Ryan beim Unglück seiner Tochter gespielt hatte. Er wies den Gedanken von sich und fragte sich stattdessen, ob er ihm davon erzählen sollte. Der Gedanke landete noch schneller in der Ablage. Hätte er seinen Mund das eine Mal nicht so weit aufgerissen, stünde er nicht auf diesem Friedhof.
Er sah hinüber zu dem Pförtnerhäuschen. Ein Gärtner bog langsam um die Ecke eines Blumenbeets. In einer Hand hielt er einen Rasentrimmer, in der anderen ein Handy, das er sich an sein Ohr presste.
Als Ian Clarke zu reden begann, geschah dies so leise und so emotionslos, dass Thorne ein paar Sekunden brauchte, um zu bemerken, dass Clarke nicht mit sich selbst sprach. Nachdem er ihm eine Weile zugehört hatte, wusste er, dass es aber genauso gut ein Selbstgespräch hätte sein können.
»Die ersten paar Tage nach der Verbrennung sind am schlimmsten. Nicht nur … emotional. In dieser Zeit entsteht der meiste Schaden. Die Folgen der Verbrennung bedeuten bis zu zehnmal mehr Schaden als die Verbrennung selbst. Haben Sie das gewusst? Diese Schäden führen erst zur Narbenbildung.
Direkt danach konnte sie weder den Mund noch die Augen öffnen. Sie konnte nicht essen. Der Schrei kam durch die Zähne, so ein Geräusch habe ich nie zuvor gehört. Als blutete es durch das wenige heraus, was von ihrer Haut noch übrig war. Sie hat viel geschrien in diesen ersten Tagen.
Sie musste eine Maske tragen, um auf die verletzte Haut ständigen Druck auszuüben. Das sollte die Narbenbildung eindämmen, die Narben nicht zu dick und starr werden lassen. Über ein Jahr ist sie mit dem entsetzlichen Ding rumgelaufen. Über ein Jahr hat sie das tragen müssen, und sie hat es vierundzwanzig Stunden am Tag gehasst. Und das völlig umsonst, wie sich herausstellte. Es war nicht richtig angepasst worden, und die Schädigung war längst passiert. Sie musste sich ruhig halten, verstehen Sie, absolut ruhig, während sie ihr Vaseline auf das Gesicht auftrugen und anschließend dieses Geleezeug. Sie konnte keinen Muskel bewegen, wenn sie die Maske trug.
Ich hätte darauf bestehen können, dass das unter Narkose geschieht. Ich hätte darauf bestehen sollen. Aber ich wollte nicht, dass sie noch eine Operation über sich ergehen lassen muss. Verstehen Sie? Zu dem Zeitpunkt hatte sie bereits sechs Hautverpflanzungen und fünfundzwanzig Bluttransfusionen hinter sich. Einige der jüngeren Ärzte haben gewitzelt, sie hätte schon mehr Zeit in dem verdammten Krankenhaus verbracht als sie.
Diese Maske, von der ich gesprochen habe, diese Druckmaske, das machen sie jetzt alles mit Lasern. Sie scannen das Gesicht mit einem Laser, und dadurch sitzt die Maske immer perfekt. Heute verwenden sie hyperbaren Sauerstoff, um die Vernarbung am Anfang zu verhindern. Es gibt die verrücktesten Dinge, ständig neue Methoden, Entdeckungen: Mikrodermabrasion, Laserbehandlung, chemisches Peeling, alles Mögliche. Einige Sites habe ich zu Hause am Computer gefunden. Medizinische Interessengruppen, Chatrooms. Man findet so gut wie alles im Internet, wenn man sich nur dafür interessiert oder verrückt genug ist, je nachdem, wie Sie’s sehen. Und wenn man die Zeit dafür hat. Ich bin inzwischen ein richtiger Experte, was die neuesten Entwicklungen angeht.
Gute Zeiten für Verbrennungen …
Die Hautverpflanzungen sind inzwischen fantastisch, wirklich fantastisch. Die Vollhautverpflanzung hat erst den richtigen Durchbruch gebracht. Damals hat es nur Spalthautverpflanzungen gegeben.
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