Tom Thorne 04 - Blutzeichen
Sessels. Er war über einen niedrigen Couchtisch gebeugt, der übersät war mit den Einzelteilen verschiedener Radios, die er auseinander gebaut hatte und nun nicht mehr zusammenbauen konnte. Er sprach, ohne aufzublicken.
»Ich hatte Lust auf Pommes.« Sein Akzent war stärker als der von Thorne. Seine Stimme höher und schnarrender.
»Unten an der Straße ist ein Imbiss mit hervorragenden Pommes, verdammt noch mal …«
»Das ist nicht das Gleiche.«
»Du magst die Pommes aus diesem Imbiss.«
»Ich wollte sie selbst machen.« Wütend fuchtelte er mit einem dicken Plastikstück. »Ich wollte mir die verdammten Pommes selbst machen, kapiert?«
Thorne biss die Zähne zusammen. Er schlenderte hinüber zu dem Sessel am Kamin und ließ sich hineinfallen.
Er fragte sich, ob das der Punkt war, an dem die Krankheit offiziell vom »mittleren« ins »fortgeschrittene« Stadium trat. Vielleicht gab es dafür keine exakte klinische Definition, sondern es war einfach das erste Mal, wenn der Betroffene sich beinahe selbst umgebracht hätte …
»Quatsch«, sagte sein Vater, ohne damit jemand Bestimmten zu meinen.
Es war ein Kampf gewesen bis jetzt, keine Frage, aber irgendwie wurden sie damit fertig. Mit dem alltäglichen Kleinkram wie Schlüssel, Post und Geld; mit dieser Desorientiertheit bezüglich Ort und Zeit; dem besessenen Umgang mit trivialen Details; dem nicht vorhandenen Urteilsvermögen, was man anziehen sollte und wann man es anziehen sollte; den Medikamenten gegen Depression, Stimmungsschwankungen, verbale Aggressionen. Noch war sein Vater nicht davonmarschiert und in einem Graben gelandet. Er hatte noch nicht damit begonnen, Putzmittel zu saufen, als handle es sich dabei um Limonade. Er hatte sich noch nicht selbst gefährdet. Bis jetzt …
»Du weißt doch, du sollst nicht in die Küche gehen«, sagte Thorne.
Dann kamen die Worte, die der alte Herr in letzter Zeit am häufigsten verwendete. Wenn er besser drauf war, nannte er es seine »Standardantwort«. Drei Worte, die er spuckend oder sabbernd, schluchzend oder brüllend hervorstieß, meist aber zwischen zusammengepressten Zähnen murmelte: »Ich hab’s vergessen.«
»Ich weiß, und du hast vergessen, die Platte auszuschalten. Die Regeln sind nicht umsonst da, verstehst du das nicht? Was passiert, wenn du mal vergisst, dass Messer scharf sind? Oder Toaster und Wasser keine gute Kombination ergeben …?«
Sein Vater sah plötzlich auf, ganz aufgeregt darüber, dass er einen Gedanken zu fassen bekam. »Mehr Leute sterben zu Hause als sonst wo«, sagte er. »Nahezu fünftausend Menschen sterben jährlich infolge eines Unfalls in ihrem Haus oder ihrem Garten. Hab ich gelesen. Übrigens passieren mehr Unfälle im Wohnzimmer als in der Küche, was mich überrascht hat.«
»Dad …« Thorne sah, wie die Züge seines Vaters vor Konzentration erstarrten und er an seinen Fingern abzuzählen begann.
»Stürze stehen ganz oben auf der Liste, wenn ich mich recht erinnere. ›Schadensfall nach Aufprall‹ heißt das. Stromschläge sind auch häufig. Feuer, wie man sieht. Erstickung, Heimwerkerunfälle …«
»Warum hast du ihnen nicht meine Nummer gegeben?«
Sein Vater fuhr mit seiner Aufzählung fort, nun jedoch tonlos. Nach etwa einer halben Minute hörte er auf und begann wieder, an den über den Couchtisch verstreuten Drähten und Spulen herumzustochern.
Eine Weile sah ihm Thorne dabei zu. »Ich bleib über Nacht hier«, sagte er.
Der Alte grinste und stand auf. Er grub in seiner Tasche nach einer zerknüllten Fünf-Pfund-Note und wedelte damit vor Thornes Nase herum. »Da, nimm das. Das …« Er schloss die Augen und suchte krampfhaft nach dem Wort. »So was, womit die Leute Sachen kaufen …«
»Was soll ich mit dem Geld?«
»Geld!«
»Was soll ich damit?«
»Die Straße runter und Pommes besorgen. Ich hab noch immer nichts zu Abend gegessen …«
Er lag wach im Dunklen und dachte an das brennende Mädchen.
Eigentlich hatte er, warum auch immer, nie aufgehört, an sie zu denken, zumindest nicht lange. In letzter Zeit jedoch hatte sie zunehmend eine große Rolle gespielt. Warum, verstand sich von selbst. Die Farben und Gerüche, die natürlich im Lauf der Jahre verblasst waren, kehrten plötzlich zurück. Lebhafter und intensiver denn je. Nicht dass er damals so viel Zeit gehabt hätte, alles zu registrieren. Sobald die Flammen ausbrachen, musste er zusehen, dass er wegkam, diesen Hügel runter und dorthin, wo er das Auto abgestellt hatte. Er
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