Tom Thorne 04 - Blutzeichen
Flaschen Rotwein geteilt. Vielleicht lag es auch an dem Brummschädel danach, dass er derart überreagierte, als er ins Wohnzimmer kam. Der Geruch traf ihn in der Sekunde, als er die Haustür öffnete.
»Scheiße, Phil. Nicht in meiner Wohnung …«
»Ist doch nur ein bisschen Gras. Ich häng doch nicht an der Nadel, Mann …«
»Mach das bei Brendan.«
Hendricks musste sich wirklich zusammenreißen, nicht loszuplatzen. Und das lag nicht nur daran, dass er stoned war. »Nimm dir einen Tag frei, ja?«
Thorne marschierte in die Küche. »Hätte ich nur …«
Während er darauf wartete, dass das Wasser kochte, beruhigte Thorne sich wieder und überlegte, ob er sich entschuldigen oder so tun sollte, als sei kein Wort gefallen. Erst vor kurzem hatte er erfahren, dass in London eine schwangere Frau, die auf die Toilette musste, noch immer ein Anrecht darauf hatte, in den Helm eines Polizisten zu pinkeln. Dass Dope noch immer nicht legal war, war noch alberner.
»Mach uns einen Toast, wenn du schon in der Küche bist«, rief Hendricks.
»Was!?«
»War nur’n Witz.« Nun konnte Hendricks nicht mehr an sich halten und prustete los.
Wenn Thorne ehrlich war, dann lag es an dem ganzen Drumherum, was ihn am Kiffen so nervte. In der Schule hatte er es ein paar Mal versucht, und sogar damals hatte er es irgendwie lächerlich gefunden, wenn sie einen zunehmend voll gesabberten Joint herumreichten und darüber quatschten, was sie für einen Kohldampf hatten. Die Drogen, die heute in den Pausenhöfen reingepfiffen wurden, waren gefährlicher, aber palaverfrei. Die Kids warfen einfach ’ne Tablette ein, und das war’s.
Dazu kam, dass seine Exfrau gelegentlich einen Joint durchgezogen hatte, mit denen sie ihr Lektor für kreatives Schreiben versorgte. Wie sich herausstellte, verließ sie ihn später wegen ihm. Thorne hatte es gerochen, als er seine eigene Treppe hinaufging und den klapperdürren Mistkerl aus seinem eigenen Bett warf. Warum er ihn nicht verprügelte oder beim Rauschgiftdezernat verpfiff, war ihm bis heute nicht klar.
Thorne murmelte etwas wie eine Entschuldigung, als er mit dem Tee ins Wohnzimmer kam. Hendricks schüttelte lächelnd den Kopf.
Sie hörten sich das erste Gram-Parsons-Album an. Thorne war hellwach und sah Hendricks dabei zu, wie er müder und müder wurde, zwischendurch hochfuhr, um den Kopf gleich wieder sinken zu lassen …
»Die Scheiße, mit der wir uns rumschlagen, ist der Preis dafür, Mensch zu sein«, erklärte Hendricks unvermittelt.
Thorne schlürfte seinen Tee. »So isses …«
»Das ist der Unterschied zwischen uns und Hunden oder Delfinen oder weiß der Geier.« Hendricks zog an seinem Joint. Er klang allmählich wie eine Figur aus einem Sketch. »Wir sind das einzige Tier mit so was wie einer Vorstellungskraft …«
»Soweit wir wissen …«, warf Thorne ein.
»Soweit wir wissen, genau. Und die ganze finstere, üble Scheiße, die Menschen angetan wird, das Morden und Foltern, beginnt als Vorstellung im Kopf so eines Irren.«
Thorne dachte darüber nach, was Hendricks sagte. Es ergab einen Sinn, obwohl es seine Vorstellungskraft überstieg, wie Leute sich Monstrositäten ausdenken konnten, wie sie beide sie im Lauf der Jahre zu sehen bekommen hatten. »Das heißt?«
»Das heißt … das ist die Kehrseite von all dem Schönen, Wunderbaren. Es gibt Leute, die stellen sich die größte Kunst, Literatur, Musik und die herrlichsten Gärten vor, aber dieselbe Vorstellungskraft kann auch den Holocaust hervorbringen oder die Idee, Kinder anzuzünden. Oder weiß der Geier.«
»Allerdings, Phil …«
»Wenn du das eine willst, musst du das andere in Kauf nehmen.«
Eine Weile saßen sie schweigend nebeneinander.
Schließlich beugte Hendricks sich vor, um die Kippe auszudrücken, die von dem Joint übrig geblieben war. »Das heißt im Grunde genommen … wenn du Shakespeare willst, bekommst du auch Shipman.«
Trotz der düsteren Wendung, die das Gespräch genommen hatte, fand Thorne diese Theorie plötzlich auf seltsame Weise komisch. »Genau.« Er nickte Richtung Stereoanlage. »Serienmörder sind der Preis, den wir für Countrymusic bezahlen.«
Hendricks grinste über das ganze Gesicht. »Das, finde ich, ist … nicht so leicht zu sagen …«
Moloney hatte sich dafür entschieden, einen draufzumachen. Zur Sperrstunde marschierte er hinaus auf den eiskalten Parkplatz, hatte genug von dem Guinness und von sich selbst. »Keine Bange, ich kenn ein paar Kneipen, wo wir noch
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