Tom Thorne 05 - In der Stunde des Todes
weiteren Morden war nicht zu rechnen, es gab also keinen Grund mehr. Als sie besprachen, wohin Thorne zurückkehren würde, war Brigstocke nicht ganz so dogmatisch. Das mochte daran liegen, dass die Entscheidung noch nicht gefallen war. Oder dass Brigstocke einfach davor zurückschreckte, einen Schlag auf den nächsten folgen zu lassen.
So, wie die Dinge standen, wollte Thorne – falls es auf eine Verlängerung seines Gärtnerurlaubs hinauslaufen würde – nicht protestieren. Der Gedanke, ins Team zurückzukehren, zu der üblichen Routine, machte ihm zu schaffen. Er fühlte sich, als sei er in einer Art Marathonlauf von der Bahn abgekommen und torkle nun einige Kilometer von der richtigen Strecke entfernt in die falsche Richtung. Er konnte nichts tun, bis er das Rennen beendet hatte, so lächerlich sein Tempo auch sein mochte. Ihm war klar, er war nicht mehr wirklich im Wettbewerb, aber er musste es über die Ziellinie schaffen …
»Ich weiß es nicht«, so lautet die einfache Antwort«, sagte Thorne. »Ich weiß nicht, was sie wollen. Und ich weiß nicht, was ich selbst eigentlich will.«
Holland füllte die entstehende Pause, indem er nach seiner Jacke griff. »Glauben Sie, Eales hat mit seinem Auftraggeber gesprochen, bevor er verschwand? Ihn gewarnt?«
»Vielleicht. Aber ich glaube nicht, dass es viel gab, wovor er ihn warnen musste.« Thorne deutete auf die Unterlagen auf dem Schreibtisch. »Es gibt nicht den geringsten Hinweis. Ich glaube, Eales weiß, wie man den Mund hält. Wie man Geheimnisse für sich behält.«
»Wahrscheinlich keine schlechte Idee, wenn man bedenkt, wie viele Leute starben, weil ein gieriger Idiot nicht den Mund hielt.«
Thorne drehte den Stuhl langsam hin und her. »Wir stürzen uns so darauf, Eales zu kriegen, weil wir glauben, er verrät uns, wer hinter der Kamera stand. Aber was macht uns da so sicher?«
»Sie glauben, er würde ihn uns nicht verraten?«
»Eales ist noch immer ein Soldat«, sagte Thorne. »Name, Rang und Kennnummer, klar?«
Holland griff nach seiner Aktentasche und ging zur Tür. »Bleiben Sie noch länger hier? Ich muss zurück …«
Thorne brummte eine unverständliche Antwort. Er wirkte nicht so, als wolle er irgendwohin.
Holland dachte daran zurück, wie er auf seinem Weg nach oben durch das Café kam und den Drogensüchtigen sah, mit dem Thorne so viel Zeit verbracht hatte. Der Junge saß mit seiner Freundin zusammen, deren Namen Holland nie erfahren hatte. Ihm fiel ein, was Thorne vorhin gesagt hatte. Wie schwer ihm der Abschied von einigen von ihnen fallen würde. »Ihr Freund Spike sitzt unten …«
Thorne nickte, als wisse er das bereits. »Wir wollten Pool spielen.«
»Wir können auch mal spielen, wenn Sie Lust haben«, sagte Holland. Er blieb in der Tür stehen. »Vielleicht Ende der Woche. In dem Pub gleich bei Ihnen um die Ecke steht doch ein Billardtisch?«
»Ich ruf Sie an, Dave«, sagte Thorne. »Wenn ich wieder auf dem Damm bin.«
Er blieb noch ein paar Minuten sitzen, nachdem Holland gegangen war, und hing seinen Gedanken nach. Doch sosehr er sich bemühte, es fiel ihm schwer loszulassen.
Mehr oder weniger aus Verlegenheit griff er nach den über den Schreibtisch verstreuten Unterlagen und begann sie durchzublättern. Letzten Endes lief es immer auf einen Papierberg hinaus, der im General Registry abgeheftet und eingeordnet wurde. Und es sah ganz so aus, als ob dieser Fall genau diesen Weg ging. Er war noch nicht ganz kalt, aber so gut wie, und er würde so, wie er war, an die Homicide Task Force weitergegeben werden. Oder vielleicht auch an die brandneue, FBI-artige Serious and Organised Crime Association, proaktive Einheiten, die flüchtige Tatverdächtige aufspürten und vor Gericht brachten. Thorne war sich ziemlich sicher, dass sich Eales bereits im Ausland befand, und er würde es den Fahndern nicht leicht machen, ihn aufzuspüren. Die Welt wurde zwar ständig kleiner, aber sie war noch immer groß genug.
Er starrte auf die Kontoauszüge. Auf die Einzahlungen, die jeweils für eines von Ryan Eales’ Opfer standen. Er starrte auf die Beträge, und unweigerlich begann sein Gehirn perverse Berechnungen anzustellen: Das waren also ungefähr fünfzehnhundert Pfund pro gelieferten Tritt …
Er dachte zurück an den Fall, an dem er im vorherigen Frühjahr gearbeitet hatte: an die Jagd auf einen anderen Mann, der das Morden als Beruf gewählt hatte. Eine Karriere eingerahmt von zwei Bränden, die zwanzig Jahre auseinander lagen
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