Tom Thorne 06 - Die Geliebte des Mörders
wieder und wartete auf nähere Erläuterungen des Detective Inspector.
»Es handelt sich um eine Entführung …« Brigstocke hob die Hand, als Thorne den Kopf schüttelte, um seinen Protest abzuwehren. »Ein Sechzehnjähriger, wurde vor seiner Schule in Nordlondon entführt. Vor drei Tagen.«
Aus dem Kopfschütteln wurde ein Nicken. »Jesmond will gar nicht mich, stimmt’s? Es geht überhaupt nicht darum, was ich kann oder worin ich gut bin. Er hat nur um Unterstützung für die Kidnap Unit gebeten. Also gibt er den guten Teamplayer und räumt mich aus dem Weg. Damit schlägt er zwei Fliegen mit einer Klappe.«
Die welken Blätter der Grünlilie auf Brigstockes Schreibtisch verdeckten ein Foto seiner Kinder. Er riss eine Handvoll dürrer Blätter und Stängel ab und zerrieb sie zwischen den Händen. »Sie sind stinksauer, und ich weiß, dass Sie guten Grund dazu haben …«
»Einen verdammt guten Grund. Es geht mir inzwischen schon viel besser, das wissen Sie. Ich … bin der Sache gewachsen.«
»Sicher. Aber ich dachte, Sie wären froh darüber, ›aus dem Weg‹ zu sein, wie Sie das nennen, bis die Entscheidung durch ist, dass Sie im Team wieder eine aktivere Rolle übernehmen. Und Sie wären nicht der Einzige. Holland soll auch aushelfen …«
Thorne starrte zum Fenster hinaus, über das Peel Centre hinweg nach Hendon, über das graue Band der North Circular und darüber hinaus. Er hatte schon hübschere Ausblicke gesehen, allerdings nicht in letzter Zeit.
»Sechzehn?«
»Er heißt Luke Mullen.«
»Der Junge wurde also am … Freitag entführt, ja? Was ist in den letzten drei Tagen passiert?«
»Alles Weitere erfahren Sie bei Scotland Yard.« Brigstocke sah auf das Blatt auf seinem Schreibtisch. »Ihr Ansprechpartner in der Kidnap Unit ist DI Porter. Louise Porter.«
Thorne wusste, dass Brigstocke auf seiner Seite war. Dass er zwischen der Loyalität zu seinem Team und der Verantwortung gegenüber den Bonzen da oben hin und her gerissen war. Heutzutage war jeder in seiner Position zehn Prozent Bulle und neunzig Prozent Politiker. Viele in Thornes Rang arbeiteten genauso. Und Thorne würde sich mit Händen und Füßen wehren, so zu enden …
»Tom?«
Brigstocke hatte das Richtige gesagt. Das Alter des Jungen allein genügte schon, um Thornes Interesse zu wecken. Die Opfer derjenigen, die es auf sexuelle Vergehen abgesehen hatten, waren in der Regel um einiges jünger. Nicht, dass nicht auch ältere Kinder dafür in Frage kamen, aber derartiger Missbrauch fand meist innerhalb der Institutionen oder, am tragischsten überhaupt, innerhalb der Familien statt. Dass ein Sechzehnjähriger mitten auf der Straße entführt wurde, war ungewöhnlich.
»Wenn Trevor Jesmond seine Hände im Spiel hat, dann heißt das, es gibt Druck«, sagte Thorne. Wenn ein Schulterzucken und ein schiefes Lächeln als Zeichen von Enthusiasmus gelten dürfen, dann war er Feuer und Flamme. »Ich glaube, im Moment könnte mir etwas Druck nicht schaden.«
»Sie haben noch nicht alles gehört.«
»Legen Sie los.«
Also klärte Brigstocke ihn auf. Und als er fertig war und Thorne sich erhob, um zu gehen, sah er ein letztes Mal aus dem Fenster auf die braunen, schwarzen und schmutzigweißen Gebäude gegenüber. Büroblocks und Lagerhäuser, mit dunklen Wasserpfützen auf den Flachdächern. Sie sahen aus wie die Zähne im Mund eines alten Mannes.
Bevor das Auto die Schranken am Ausgang des Parkplatzes erreicht hatte, hatte Thorne bereits eine Bobby-Bare-CD in den CD-Spieler geschoben. Ein Blick auf Hollands Gesicht genügte, und er holte sie wieder heraus. »Ich sollte darauf achten, immer ein Simply-Red-Album im Wagen zu haben«, meinte Thorne, »zur Schonung Ihrer Geschmacksnerven.«
»Ich mag Simply Red nicht.«
»Dann irgendetwas anderes.«
Holland deutete auf die CD-Anzeige im Armaturenbrett. »Ein paar Sachen sind ja in Ordnung. Nur dieses Gitarrengewimmer …«
Thorne fuhr auf die Aerodrome Road und beschleunigte Richtung Colindale-Unterführung. Sobald sie auf der A5 waren, konnten sie nach Süden durchfahren – durch Cricklewood, Kilburn, hinein in die Stadt.
Holland gab sich mit seiner Kritik an Thornes Musikgeschmack noch nicht zufrieden, er musste seine Häme auch noch über das Auto ergießen. Der gelbe BMW – ein 1973er Drei-Liter-CS – erfüllte Thorne mit Stolz und Freude, doch für DS Dave Holland war er kaum mehr als ein willkommener Anlass für endlose Witze über die »alte Klapperkiste«.
Doch
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