Tom Thorne 06 - Die Geliebte des Mörders
Erinnerung hatte. Aber etwas mehr Enthusiasmus hatte er schon an den Tag gelegt, als er vor sechs Jahren als fünfundzwanzigjähriger DC Thornes Team zugewiesen worden war. Und Überzeugung. Natürlich hatten er und seine Freundin seither einiges durchgemacht: Da war die Affäre mit einer Kollegin gewesen, die später in Ausübung ihres Dienstes ermordet wurde; dann die Geburt seiner Tochter, die in diesem Jahr zwei wurde.
Und es hatte seither einige Tote gegeben.
Eine immer größer werdende Galerie von Menschen, die man erst kennenlernt, nachdem ihnen das Leben genommen wurde. Menschen, deren dunkelste und intimste Geheimnisse einem vielleicht enthüllt wurden, doch deren Stimme man nie hören würde, die einem nie ihre Gedanken anvertrauen würden. Eine Ausstellung der Toten. Und daneben eine der lebenden Mörder. Und jener, die zurückblieben, die sich zurechtfinden mussten in einem zerstörten Leben.
Es war nicht so, dass Thorne und Holland und die anderen, die mit diesen Dingen zu tun hatten, von Gewalt und Verlusten bestimmt wurden. Dass sie damit zu Bett gingen und damit aufstanden. Aber sie waren auch nicht immun dagegen. Letzten Endes änderte sich dadurch alles.
Die Überzeugung verlor ihr Strahlen …
»Wie läuft’s denn zu Hause, Dave?«
Ein, zwei Sekunden lang wirkte Holland überrascht.
Dann erfreut und dann wieder verschlossen. Zumindest etwas. »Ganz gut.«
»Chloe muss schon groß sein.«
Holland nickte, schien wieder lockerer. »Sie verändert sich ständig und entdeckt andauernd Neues, verstehen Sie. Jedes Mal, wenn ich nach Hause komme, macht sie was anderes. Im Augenblick ist sie ganz wild auf Musik, singt alles mit, was sie hört.«
»Aber doch nichts mit Gitarrengewimmer.«
»Ich hab das Gefühl, ich verpasse das alles, wenn ich das hier mache …«
Thorne vermutete, dass es wenig Sinn machte, sich nach Hollands Freundin zu erkundigen. Sophie war nicht gerade Thornes größter Fan. Ihm war klar, dass sein Name in Hollands und Sophies kleiner Wohnung in Elephant & Castle wohl eher gebrüllt als gesagt wurde. Wahrscheinlich war er sogar der Grund für die meisten Streitereien.
Auf der Park Lane beschleunigte der BMW endlich wieder auf 50. Von hier würden sie bis zur Victoria Station fahren, dann rüber zu St. James’ Cathedral und Scotland Yard.
Holland wandte sich zu Thorne, als sie an der Hyde Park Corner langsamer wurden. »Ach ja, ich soll Ihnen einen schönen Gruß von Sophie bestellen.«
Thorne nickte und fädelte sich in den Kreisverkehr ein.
Scotland Yard war nicht gerade sein Lieblingsort.
Er hatte im letzten Jahr hier ein paar schreckliche Wochen verbracht, vielleicht die furchtbarsten seines Lebens. Als er damals – wie man es so schön nannte – aus seinem Team »freigestellt« worden war. Sie hatten ihm vorgeschlagen, die freie Zeit doch zum Gärtnern zu nutzen. Thorne wusste genau, dass er nicht ganz er selbst war, dass er einfach nicht über den Tod seines Vaters hinwegkam. Aber dies aus dem Mund von jemandem wie Trevor Jesmond zu hören, war etwas anderes. Sich anhören zu müssen, man sei »zu nichts zu gebrauchen«, und wie ein benutztes Taschentuch weggeworfen zu werden. Erst der Undercoverjob hatte ihm dankenswerterweise einen Ausweg geboten. Und die Wochen, die er auf der Straße schlief, waren um Längen besser gewesen als die, die er in einer fensterlosen Besenkammer im New Scotland Yard geschmort hatte.
Als sie auf den Eingang zuliefen, warf Thorne einer Touristengruppe, die sich gegenseitig vor dem berühmten sich drehenden Wahrzeichen fotografierten, einen finsteren Blick zu.
»Was haben Sie gemacht, als Sie hier waren?«, wollte Holland wissen.
Thorne holte seinen Polizeiausweis hervor und zeigte ihn einem der diensthabenden Beamten an der Tür. »Ich hab versucht herauszufinden, wie viele Fläschchen Tipp-Ex eine tödliche Dosis abgeben
Kidnapping and Special Investigation war eine von mehreren SO-Einheiten im Central 3000 – einem riesigen Großraumbüro, das sich über den halben fünften Stock erstreckte. Jede Einheit hatte ihren eigenen, farbcodierten Bereich, der durch eine rechteckige, von der niedrigen Decke hängende Fahne gekennzeichnet war. Die Fahne der Tactical Firearms Unit war schwarz, die der Surveillance Unit grün, und die der Kidnap Unit war rot. Andere Fahnen kündeten von der Anwesenheit der Technical Support sowie der Intelligence Unit, die beide über einen gigantischen Pool von Fernsehbildschirmen verfügten.
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