Tom Thorne 07 - Das Blut der Opfer
paar Wochen, glaub ich.«
»Dann muss er bei den Beerdigungen wenigstens keine Handschellen tragen …«
Erster Teil
»Senden«
Erstes Kapitel
Er glaubte der alten Frau nicht, dass sie das Ass hatte. Tom Thorne ließ sich keine Sekunde lang hinters Licht führen von ihrem Nette-Omi-Lächeln und ihrer Brille, ihrer Zuckerwattefrisur und der adretten Handtasche im Schottenkaro. Auch dem Typen im Smoking mit dem kantigen Kinn, den er vor ein paar Runden mit seinem Bluff hatte auflaufen lassen, glaubte er kein Wort. Ein Zehnerpärchen, mehr hatte der nicht.
Thorne setzte fünfzehn Dollar. Mit dem Ass, das er auf der Hand hatte, hätte er ein Pärchen. Andererseits lagen drei Herzen auf, und da wollte er denen einen Schuss vor den Bug geben, die auf einen Flush spekulierten.
Zuerst stieg der Typ im Smoking aus, dann der Kerl mit der Glatze, der die ganze Zeit auf einer dicken Zigarre herumkaute.
Nur noch Thorne und die alte Lady waren übrig. Sie ließ sich Zeit, legte dann aber doch ihr Blatt weg und überließ ihm die fünfundzwanzig Dollar im Pot.
Das war die Crux beim Online-Poker. So echt die Spieler wirkten und so gut die Graphik war, es saßen immer dieselben Typen am Tisch. Soweit Thorne informiert war, war die alte Lady mit dem ungemein witzigen Namen Top Bluffa in Wahrheit ein pubertierendes Pickelgesicht aus dem Mittleren Westen Amerikas.
Thorne, der bei seinem Zocken im Internet als The Kard Kop firmierte, loggte sich seit ein paar Monaten bei Pokerpro. com ein. Es war ein harmloses Vergnügen, nicht mehr. Er hatte genug Opfer der Spielsucht gesehen, um zu wissen, dass einen Zocken ebenso teuer zu stehen kommen konnte wie Heroin und dass die leichte Verfügbarkeit online für Tausende im Lande fatal war. Er konnte damit nach einem langen Tag einfach wunderbar abschalten, nicht mehr. Oder, wie heute Abend, die Zeit totschlagen, während er auf Louise’ Anruf wartete.
Er sah auf die Uhr und war überrascht, dass er bereits zweieinhalb Stunden spielte.
Ein Blick auf die untere Bildschirmleiste sagte ihm, dass er für heute Abend bereits vierzig Dollar im Plus war. Insgesamt bereits zweihundertfünfundsiebzig Dollar. Das war nicht übel, und vermutlich kam ihn das Zocken am Bildschirm, selbst wenn er ab und an verlor, noch immer billiger, als wenn er die Zeit im Royal Oak verbrachte.
Thorne stand auf und ging zur Stereoanlage. Er nahm die Laura-Cantrell-CD raus, die er gehört hatte, und suchte nach einem passenden Ersatz. Eine halbe oder eine Dreiviertelstunde wollte er noch spielen, bis zwei Uhr. Dann reichte es für heute Nacht.
Mit DI Louise Porter war er seit Ende Mai zusammen, seit einem Fall, an dem sie gemeinsam gearbeitet hatten. Thorne war ihrem Team bei der Kidnap Investigation Unit zugewiesen worden. Der Mullen-Fall hatte viele das Leben gekostet - und manche vielleicht sogar mehr als das Leben. Da waren Dinge geschehen, die nicht mehr wiedergutzumachen waren. Thorne und Louise waren mindestens so überrascht wie alle anderen, dass dieses Gemetzel für sie etwas Positives gebracht hatte und dass nach fünf Monaten noch immer keine Ermüdungserscheinungen zu erkennen waren.
Thorne zog eine Waylon-Jennings-Compilation heraus. Er legte die CD ein und nickte im Rhythmus der Gitarre zum Intro von »Only Daddy That’ll Walk the Line«.
Es war schon nicht einfach für zwei Polizeibeamte aus verschiedenen Einheiten, überhaupt einigermaßen Zeit füreinander zu finden, aber Louise war überzeugt, dass die Sache eher frisch blieb, wenn man nicht ständig aneinanderklebte. Ihre kleine Wohnung war in Pimlico - ein ordentliches Stück entfernt von Thornes noch kleinerer Wohnung in Kentish Town. Und obwohl sie in der Regel eine oder zwei Nächte in der Woche miteinander in der einen oder anderen Wohnung verbrachten, meinte Louise, es sei gut, dass die beiden Wohnungen so weit voneinander entfernt seien. Gut gegen die Angst, die Unabhängigkeit zu verlieren oder sich in- und auswendig zu kennen. Oder auch nur davor, sich zu langweilen.
Thorne waren diese Ängste zwar nicht fremd, aber er hatte Louise trotzdem gefragt, ob sie sich nicht vielleicht etwas zu viele Gedanken mache. Nach ein paar Monaten hatten sie im Bengal Lancer einen Kaffee getrunken und sich über die Wohnungssituation unterhalten. Und das hatte bedrohlich nach einer Einsatzbesprechung geklungen. Thorne hatte sich über den Tisch gebeugt, ihr die Hand auf die Finger gelegt und gesagt, sie sollten das etwas lockerer nehmen und ihre
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