Tom Thorne 07 - Das Blut der Opfer
betrachtete das Bild auf dem kleinen Display des Nokia-Handys.
Thorne zog die schwere Lederjacke aus und hängte sie über den Stuhl. Es war kalt gewesen, als er vor eineinhalb Stunden seine Wohnung verlassen hatte, aber nach zehn Minuten im Becke House, in dem kein Fenster zu öffnen und sämtliche Heizungsthermostaten permanent auf »Sahara« gestellt waren, schwitzte er. Draußen blies der Wind gegen die Scheiben. Der November, frisch und aufbrausend, nahm gerade Fahrt auf. Auf den Flachdächern gegenüber wirbelte das Laub wütend durch die Luft.
»Wahrscheinlich nur ein schlechter Scherz«, meinte Brigstocke.
Thorne hatte sich dasselbe gesagt, als er das Foto erhielt. Vergebens. Und es nun aus dem Mund eines anderen zu hören, das überzeugte ihn genauso wenig. »Das ist keine Wachspuppe«, sagte er.
»Vielleicht ein Foto von einer dieser durchgeknallten Webseiten? Da draußen gibt es die seltsamsten Sachen.«
»Vielleicht. Aber irgendetwas steckt hier dahinter.«
»Womöglich war es nur die falsche Nummer?«
»Ziemlicher Zufall wär das. Ungefähr so, als ob ein Klempner aus Versehen das Foto von einem kaputten Absperrhahn zugeschickt bekommt.«
Brigstocke hielt das Handy dicht an sein Gesicht, neigte es ein bisschen, um das Licht besser einzufangen. Er sprach mehr zu sich selbst als zu Thorne, als er sagte: »Das Blut ist noch nicht trocken. Wir müssen davon ausgehen, dass er noch nicht lange tot ist.«
Thorne dachte noch immer über Zufälle nach. Sie hatten in einigen Fällen der letzten Jahre eine Rolle gespielt, und er hatte sie nie leichtfertig von der Hand gewiesen. Aber hier, das spürte er, steckte mehr Organisation dahinter.
»Das ist kein Zufall, Russell. Das ist eine Botschaft.«
Brigstocke legte das Handy sachte beiseite, beinahe so, als müsste er dem noch nicht identifizierten Toten Respekt erweisen. Er wusste, dass Thorne mit seinem Bauchgefühl mindestens so oft dramatisch danebenlag, wie er damit recht hatte. Aber er wusste auch, dass eine Auseinandersetzung mit diesen Eingebungen Kopfschmerzen geradezu provozierte und die Wahrscheinlichkeit eines Magengeschwürs beträchtlich erhöhte. Es sprach wirklich nichts dafür, Thorne in diesem Punkt zu widersprechen. »Wir geben das hier an die Jungs von der Technik. Mal sehen, wie weit die mit dem Foto kommen. Und jemand soll sich mit der Telefongesellschaft in Verbindung setzen.«
»Kann das nicht Dave Holland erledigen?«
»Ich bin sicher, der reißt sich nur zu gern los von dem Imlach-Papierkram.«
Darren Anthony Imlach. Der Mann, der sich vor Gericht dafür verantworten musste, seine Frau und seine Schwiegermutter mit einer Wodkaflasche umgebracht zu haben. Das hatte ihm den Namen »Smirnoff-Mörder« eingebracht. So nannten ihn diese Revolverblätter, deren Nippelquote sich noch immer im zweistelligen Bereich bewegte.
»Dave versteht sich darauf, die Leute zum Reden zu bringen, wenn’s schnell gehen muss. Spart uns vielleicht ein paar Stunden Formulareausfüllen.«
»Hört sich gut an«, meinte Brigstocke. Er klopfte mit dem Zeigefinger auf das Handy. »Warum kümmern Sie sich nicht darum, ob wir irgendwo eine Leiche haben, zu der dieses Gesicht passt?«
Thorne war bereits auf den Beinen und griff nach seiner Jacke. »Ich logg mich gleich ein.«
»Hat Kitson mit Ihnen über den Sedat-Fall gesprochen?«
Thorne, bereits an der Tür, drehte sich noch einmal um. »Ich hab sie noch nicht gesehen.«
»Wie auch immer. Sie wird Sie aufs Laufende bringen. Wir haben ein Messer gefunden. Lag in einem Abfalleimer gegenüber vom Queen’s Arms.«
»Fingerabdrücke?«
»Hab ich nicht gehört. Würde mich aber wundern. Das Messer lag zwischen Zigarettenkippen, Bierresten und Dreck. Kebabreste …«
»Vielleicht der richtige Moment, die Jungs von S&O hinzuzuziehen.«
»Die sollen sich verpissen«, sagte Brigstocke.
Die Serious and Organised Crime Unit, die sich, wie ihr Name sagte, um das organisierte Verbrechen kümmerte, war der Ansicht, dass der drei Tage zurückliegende Mord an Deniz Sedat mit der Tatsache zusammenhing, dass das Opfer Mitglied einer türkischen Gang war. Sedat, der von seiner Freundin vor einem Pub in Finsbury Park gefunden wurde, als er verblutete, war keine große Nummer. Aber sein Name war bei Ermittlungen im aufstrebenden Heroinhandel des Londoner Nordens immer wieder mal aufgetaucht. Und das Team von S&O hatte sofort die Ellbogen ausgefahren.
»Richtig organisiert , wie die sich hier breitmachen«, hatte
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