Tom Thorne 08 - Die Schuld des Blutes
und Absperrbänder. Und ein kettenrauchender Detective an der Seite, der seinen jungen Kollegen anbrüllt oder über seinen Boss jammert.
Irgendwie glaub ich, wenn sie sich vor fünfzehn Jahren so viel Mühe gegeben hätten, wären sie um einiges schneller dahintergekommen, was wirklich läuft. Sie hätten ein paar Frauen das Leben gerettet und vielleicht sogar gemerkt, dass ihr »grausamer Mörder« ein Mann ist, der nicht anders kann. Der genauso ein Opfer ist.
Sie hätten das alles verhindern können.
Selbst wenn ich eine Chance hätte, da runterzufahren und mich unter die Schaulustigen zu mischen, würde ich wahrscheinlich nicht sehen, wie sie die Leiche rausholen. Aber sie müssen sich garantiert nicht so dabei plagen wie ich. Erst wenn man versucht hat, eine Leiche hochzuhieven, versteht man den Begriff »Totlast«. Ihn in das Auto hinein- und wieder herauszuhieven war ein Albtraum. Daher fand ich es auch so toll, als er einen Augenblick später ins Wasser glitt, nachdem ich den richtigen Platz gefunden hatte. Da wirkte er geradezu schwerelos, wie er in die Schlammbrühe rutschte.
Anmutig.
Ich kann echt nicht sagen, warum ich dabei sein möchte. Es hat bestimmt nichts mit hämischer Neugierde zu tun. Ich glaube, es geht um das Gefühl, Teil davon zu sein. Das mag komisch klingen, schließlich würde das alles nicht passieren, wäre ich nicht gewesen, aber man fühlt sich so schnell … außen vor. Das liegt auf der Hand, klar, aber ich muss in dem Spiel einen Schritt voraus sein, und ich kann ja schlecht einem Fremden im Pub mein Herz ausschütten.
Ich muss immer lachen, wenn ich etwas über »verrückte Einzelgänger« lese. Aber sicher, dafür gibt es gute Gründe! Nicht dass es nicht auch Nachteile hat, zum Beispiel beim Herumwuchten von Totlasten.
Ich bin keineswegs süchtig nach Aufmerksamkeit, also warum schreib ich das alles auf? Wohl
deshalb, weil ich möchte, dass am Schluss, wenn alles abgewickelt ist, auch klar ist, warum und wieso ich das getan habe. Ehrlich gesagt erwarte ich mir auf dem Gebiet nicht allzu viel. Es gibt immer diese morbiden Typen, die nicht genug kriegen können von Mord und Totschlag, dann die Akademiker und den ein oder anderen auf dem Religionstrip, der von Vergebung schwafelte. Abgesehen davon jedoch würde die Reaktion so hysterisch ausfallen, dass so gut wie niemand sich für die Hintergründe interessieren würde.
Umso wichtiger, dass ich das hier schwarz auf weiß aufs Papier bringe. Dann haben auch die Nick Maiers dieser Welt etwas mehr als sonst an der Hand, wenn sie sich hinsetzen, um ihre Blockbuster zu schreiben.
Hoffentlich machen sie es besser als das letzte Mal.
Schock, Horror: Es ist ruhig geworden im Zeitungskiosk. Er ist zu sehr damit beschäftigt, Kinder fernzuhalten, und es braucht nicht viel, um eine Story von der Titelseite verschwinden zu lassen. Zu viele Kids stechen sich gegenseitig ab, zu viel Korruption. Ein Promiskandal oder eine ordentliche Terroristenstory ist allemal interessanter als ein ehrlicher Mord.
Wenn sie den Mann finden, wird es allerdings wieder losgehen. Dann wird er die zusammengerollte Zeitung wie das Schwert der Gerechtigkeit schwingen und sich nicht mehr darüber beruhigen können, wie unsicher die Straßen sind.
Ich schau besser möglichst schnell bei ihm vorbei. Wenn ich Glück habe, platzt dem selbstgerechten alten Arsch eine Ader, wenn er mir meine Bensons gibt.
Vierundzwanzigstes Kapitel
»Darüber hinaus scheint das Opfer sich vor kurzem einer Geschlechtsumwandlung unterzogen zu haben und mit einer kostbaren, juwelenbesetzten Armbrust ermordet worden zu sein.«
»Was?«
»Gut, du weilst also noch unter uns.«
»Tut mir leid, Phil.«
Thorne litt unter den Nachwirkungen von Schlafentzug. Er war am Abend zuvor erst sehr spät vom Tatort nach Hause gekommen. Louise schlief bereits tief und fest, und das tat sie noch immer, als er wieder losfuhr, zum Fundort der Leiche, wo es genauso nass und dunkel war wie vier Stunden zuvor.
Um elf Uhr vormittags hätte er sich wieder hinlegen können, die Arme und Beine waren bettschwer. Die kalten Seziertische in der Hornsey-Leichenhalle sahen genauso einladend aus wie das bequemste Federbett.
»Pro-Plus ist gut«, sagte Hendricks. »Oder Red Bull, allerdings rate ich davon ab, beides zu kombinieren.«
»Damit bist du keine große Hilfe, es sei denn, du hast ein paar Dosen davon in einem Kühlschrank hier.«
»In Frankreich ist er verboten, wusstest du das?«
»Was ist
Weitere Kostenlose Bücher