Tom Thorne 08 - Die Schuld des Blutes
verboten?«
»Red Bull, auch in Norwegen und Dänemark.«
»Die Franzosen trinken Absinth. Bringt einen das Zeug nicht um?«
»Keine Ahnung, aber es ist gut für die Liebe, heißt’s doch.«
Thorne brauchte ein, zwei Sekunden, und selbst dann beschränkte er sich auf ein sarkastisches Grinsen. Absence makes love grow fonder. Das kostete weniger Kraft, als lauthals loszulachen.
Vor der Sektionsabteilung studierte Thorne die Gesundheits- und Sicherheitsposter an der Wand. Mit einem Gähnen überspielte er einen leisen Furz, während er die Tipps zur Vermeidung einer AIDS- oder MRSA-Infektion las und Hendricks sich aus seinem Schutzkittel und dem Arztkittel schälte und beides entsorgte. Dann liefen sie gemeinsam den schmalen Gang zum Büro des Coroners hinunter, das der diensthabende Gerichtsmediziner bei Bedarf benutzen konnte.
»Der stumme Killer«, sagte Hendricks.
Ein paar Sekunden lang dachte Thorne, sein Freund rede von MRSA, dann sah er das Grinsen und die gerümpfte Nase. »Sorry.«
»Schweinebacke …«
Das Büro war nur wenig größer als das von Pavesh Kambar, aber wesentlich chaotischer. Auf einem der drei Schreibtische waren grüne Aktenordner gestapelt, und an jedem Computer hingen Haftnotizen. Hendricks zog einen Stuhl für Thorne heraus und ließ sich auf seinen fallen. Der Arsenalkalender »Seventies Legends« über dem Schreibtisch war die einzige Gebietsmarkierung in dem Gemeinschaftsbüro, und Thorne sah, dass Hendricks in zwei Wochen ein Seminar über Genregulierung besuchen wollte. Der Termin war rot markiert, darüber ein Foto von Charlie George, flach auf dem Boden, nachdem er das entscheidene Tor im Pokalendspiel 1971 erzielt hatte.
Hendricks deutete auf die anderen Schreibtische. »Die meisten, die hier arbeiten, haben Lieblingshassobjekte, was die ›Kunden‹ angeht, bei mir ist das schon immer Wasser. Was es mit dem Körper macht. Ein Sprung vom Hochhaus oder ein ordentlicher Autounfall ist mir allemal lieber.«
Thorne konnte sich nicht an allzu viele hübsche Tatorte erinnern, aber als er gestern Nachmittag am Kanalufer angekommen war, war sogar er froh, dass er noch keine Zeit fürs Mittagessen gehabt hatte.
Sie zogen die Leiche in der Nähe von Camden Lock heraus, nur einen Steinwurf von den Läden und Bars des ausgedehnten Markts entfernt. Aber wo der Mann im Wasser gelandet war, ließ sich unmöglich sagen. Er lag am Ufer, unter einem hastig errichteten Zelt: eine Hand war um das erwartete MRT-Schnipsel zur Faust geballt; die andere lag mit der hellen Handfläche und den lila Fingerspitzen nach oben, als sei das Opfer ein Schwarzer, der fingerlose Handschuhe trägt; ein Schuh fehlte, um den Knöchel ein Kettchen aus Gras und der von Gasen aufgeblähte Bauch unter der mit Wasser vollgesogenen Jeansjacke.
In der Plastiktüte befand sich noch Wasser, sie klebte auf dem Gesicht des Toten und entstellte das, was davon übrig war, noch mehr. Thorne erinnerte es an ein altes Kissen, zerrissen und kaputt, aus dem die versiffte Füllung heraushing.
»Etwa sechsunddreißig Stunden im Wasser«, sagte Hendricks jetzt. »Nicht dass er zuvor viel schöner aussah.«
»Mit Sicherheit tot, bevor er im Wasser landete?«
»Du hast das Gesicht gesehen. Die Fische waren das nicht.« Hendricks lehnte sich zurück. »Und davor war er bereits ein paar Stunden tot. Mindestens vier oder fünf.«
»Dann wurde er woanders umgebracht?«
»Na ja, ich gehe nicht davon aus, dass der Mörder ihn totschlug,
ihm eine Plastiktüte über den Kopf zog und dann am Kanalufer wartete und den Spaziergängern zuwinkte.«
Thorne nickte, die Frage war wirklich dämlich. Am ehesten konnten wohl die Gerichtsmediziner herausfinden, wo er umgebracht worden war. Aber das war so gut wie ausgeschlossen, denn unter den sechsunddreißig Stunden im Wasser hatte nicht nur das Aussehen des Opfers gelitten. Er blinzelte, um das Bild des blutigen Breis in der Plastiktüte zu vertreiben. »Die Identifizierung können wir auch vergessen«, sagte er. »Keine Muttermale oder etwas in der Richtung, und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass ihn irgendjemand erkennt.«
Hendricks schüttelte den Kopf. »Gut, dass wir keine brauchen.«
»Das ist aber schon das einzige Glück bis jetzt«, sagte Thorne. »Es kommen nur drei Leute infrage.«
So wie das Gesicht des Toten zugerichtet war, war sogar ein zahnmedizinisches Gutachten fragwürdig, und die Chance auf Fingerabdrücke oder DNA-Proben aus einer verlässlichen Quelle war
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