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Tom Thorne 08 - Die Schuld des Blutes

Titel: Tom Thorne 08 - Die Schuld des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Billingham
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praktisch nicht vorhanden. Daher mussten sie sich bei der Identifizierung von Anthony Garveys jüngstem Opfer, Simon Walsh, mit dem begnügen, was sie bei dem Toten gefunden hatten: einen alten Führerschein in der hinteren Tasche seiner Jeans und einen kaum mehr entzifferbaren Brief seiner Tante in der Brieftasche.
    »Die Tante ist die nächste Angehörige?«
    Thorne nickte.
    »Wie hat sie’s aufgenommen?«
    »Diesmal hat Brigstocke die Arschkarte gezogen.«
    »Ich hab noch immer nicht die geringste Ahnung, wie ihr Typen das macht. Die Toten aufzuschneiden ist dagegen ein Kinderspiel.«

    »Ich ziehe ein Zimmer voller Witwen und trauernder Eltern vor.«
    Hendricks blieb bei seiner Meinung. »Wie die Toten reagieren, weiß ich.«
    Thorne wollte schon sagen: »Man gewöhnt sich daran«, aber dafür kannte Hendricks ihn zu gut. Er wusste Bescheid. »Ich glaube, die Tante hat sich gefreut, dass Walsh noch immer ihren Brief hatte. Dass er an sie dachte, weißt du?«
    Draußen klapperte es laut, und Gummiräder quietschten. Ein Wagen wurde vorbeigeschoben. Der Lärm verebbte so schnell, wie er entstanden war, und nur die Stimmen der Forensikassistenten waren noch zu hören, ein alltägliches Geräusch.
    Hendricks drehte sich zu seinem Computer, öffnete den E-Mail-Browser und schaute seine Mails durch. Thorne sah ihm dabei zu, beobachtete, wie das komplizierte keltische Bandtattoo um seinen Bizeps sich bewegte, wenn er die Maus herumschob. »Hast du Bock auf ein paar Tage in Göteborg?«, fragte Hendricks, die Augen auf den Monitor gerichtet. »Ein Seminar über ›Bildanalyse in der toxikologischen Pathologie‹ und so viel eingelegten Hering, wie du essen kannst?«
    »Warum hat er seine Methode geändert?«, fragte Thorne. »Warum bekam Walsh es von vorn ab? Und warum war er dieses Mal so wahnsinnig brutal?«
    Hendricks drehte sich auf seinem Stuhl herum. »Das heißt, kein eingelegter Hering, oder?«
    »Jetzt komm schon.«
    »Vielleicht wird er übermütig. Hält sich für Supermann.«
    »Niemand widerspricht.«
    »Also denkt er, er hat es nicht mehr nötig, sich von hinten ranzuschleichen. Keine Ahnung. Vielleicht war er unter
Zeitdruck oder kam nicht dazu, ihn näher kennenzulernen wie Macken.« Hendricks überlegte kurz. »Vielleicht wird er wütender.«
    »Aber warum wirft er die Leiche woanders weg und nicht da, wo er ihn umgebracht hat?«, sagte Thorne. »Das war doch zuvor nie ein Thema, wo die Leichen gefunden wurden.«
    »Niemand sagt, dass er nicht wollte, dass man die Leiche findet. Wenn er ihn im Freien umbringt, bleibt ihm nichts übrig, als ihn im Freien zu entsorgen, denk ich. Was soll er sonst mit ihm tun?«
    »Ja …«
    »Selbst wenn er dieselbe Vorgehensweise wie bei den anderen einsetzen und ihn in seinen vier Wänden umbringen wollte, ging das vielleicht nicht. Walsh hatte vielleicht keine vier Wände, die sich dafür eigneten.«
    »Ja … Wahrscheinlich hast du recht«, sagte Thorne. Er blies die Backen auf und ließ die Luft langsam entweichen. Dabei zwang er sich aufzustehen, obwohl er noch Stunden hätte hier sitzen können. Er ging zur Tür, sagte, dass er später noch mal anrufen wolle, und bat darum, den Bericht rüberzufaxen, sobald er fertig sei. Er war sich bewusst, dass Hendricks ihn noch immer ansah. Diesen Ausdruck kannte Thorne nur zu gut - die Augen hinter der Brille wurden zu schmalen Schlitzen, Hendricks machte sich Sorgen um ihn. Um ihn und um den Fall, um ihn und um Louise. Er war sich nicht sicher, ob zu Recht, hatte aber nicht vor, Hendricks zu fragen.
    Schließlich sagte Hendricks: »Bist du dir sicher wegen dem Göteborg-Trip? Der Wodka in Schweden ist echt gut, weißt du. Und Red Bull ist auch nicht verboten.«

     
    Zurück im Becke House, fand er die Atmosphäre in der Ermittlungszentrale seltsam, als hätte man den Mitarbeitern eines Callcenters - dem die Zentrale heute mehr als sonst glich - einen geheimnisvollen Preis versprochen, von dem alle insgeheim glaubten, er wäre der Mühe nicht wert. Ein Leichenfund elektrisierte jedes Team, selbst eines, das daran gewöhnt war, doch der Eifer überzeugte nicht wirklich. Das Gefühl von Vergeblichkeit war mit Händen zu greifen für jeden, der genau hinsah - es war spürbar in jedem Blick von Kollege zu Kollege, in jeder Eingabe auf der Tastatur und bei jedem Griff nach dem Telefon.
    DS Samir Karim hatte in seiner Eigenschaft als Büroleiter die Truppen versammelt, als gestern Nachmittag der Anruf aus Camden eingetroffen war.

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