Tonio
pride and joy
God bless and keep you safe
My own, my precious boy
For all the care and heartache
life has brought to me
One precious gift has made it
all worthwhile
For heaven blessed and with
great joy rewarded me
For I can look and see
My own beloved son
My son, my son
Just do the best you can
Then in my heart I‘m sure
You‘ll face life like a man
My pride and joy
My life, my boy
My son, my son
KAPITEL V
Eine zweite Brut
1
Daß er nicht mehr ist und nie mehr sein wird (aber unauslöschbar dagewesen ist), ist uns seit einigen Tagen bewußter als zu Beginn. Wohlmeinende Menschen suggerierten nach der Beerdigung, »es wird, wie auch immer, nachlassen, das Gefühl des Verlusts, der Kummer«. Das Unglück liegt jetzt sechs Wochen zurück. Das einzige, was nachgelassen hat, ist das unwirkliche Gefühl, das nach wie vor damit rechnet, der Alptraum werde ein Ende haben, heute oder morgen. Dieser unwillkommene Verschleißprozeß vollzieht sich zugunsten der Wirklichkeit, die, mit der harten Wahrheit als Rammbock, immer tiefer in uns eindringt.
Wenn es ein Alptraum wäre, hätte er längst zu Ende sein müssen. Ein Merkmal des Alptraums ist ja, daß der Träumende ruckartig wach wird. Ein Alptraum ist keine Soap, die sich um des »Fortsetzung folgt« willens endlos in die Länge ziehen läßt.
Der Schmerz. Es hat gerade erst begonnen.
»Es scheint manchmal etwas weniger schlimm als zu Anfang«, sagte Mirjam heute morgen. »Es fühlt sich nicht mehr wie eine schwere Gehirnerschütterung an, aber mein Gedächtnis ist noch immer wie ein Sieb. Vor allem was manche Namen und Wörter betrifft und die Reihenfolge von Dingsbums … Dingsbums, du weißt schon … von Daten. Von Ereignissen. Und Einkaufen, das ist nach wie vor eine Katastrophe. Im Geschäft weiß ich nicht, was ich kaufenwill. Wenn ich zu Hause ein Papier schreibe … ein, wie heißt das, einen Zettel, eine Liste … dann bleibt es leer, weil … was wollten wir gleich noch mal essen? Ich habe manchmal Angst, daß das so bleibt.«
»Denk doch bloß an das Ausfallen der anderen Funktionen, Minchen. Hoffen auf. Sich sehnen nach. Beten … flehen. Es gibt sie noch, aber sie sind nicht länger verwendungsfähig. Wie Pfeile, mit denen man auf nichts mehr zielen kann. Es fehlt das Schwarze in der Schießscheibe. Du kannst auf Tonios Wiederkehr hoffen, soviel du willst … an das Wunder seines Weiterexistierens glauben … beten, flehen, drohen. Komm zurück! Her mit dir! Sonst setzt es was! Sinnlos. Diese Funktionen sind genauso überflüssig wie der Blinddarm, der Weisheitszahn, das Steißbein …«
2
Das Ermüdende ist, daß wir jeden Morgen, aus dem schalen Rausch erwachend, ein neues Leben beginnen und am selben Abend wieder auf das alte zurückgreifen. Jeden Tag von neuem das gleiche Ritual der wiederaufgenommenen Schmerzbekämpfung.
Es ist Viertel vor sieben am frühen Abend. Mirjam hat ihren Vater mit dem Auto aus dem Beth Shalom abgeholt und in seine Wohnung in der Lomanstraat gebracht, wo sie ihm Augentropfen einträufelt. Fünf Minuten später ist sie zu Hause. Ich sitze in unberechenbarer Düsterkeit auf der Couch. Die Nachrichten und das Abendmagazin sind vorbei. Manchmal ertappt Mirjam mich im Wohnzimmer dabei, wie ich haßerfüllt RTL Boulevard gucke. Das unwirkliche Geplapper über die Eheschließungen, Scheidungen und Familienzuwächse der Tierart, die, wahrscheinlich wegen ihres geistigen Bastardstatus, mit Bekannte Niederländer bezeichnet wird. Einmal ist ein Polizeijournalist im Studio, der die Bilder von Joran van der Sloot in einem peruanischen Gefängnis kommentiert. Mir fällt immer wieder auf, wie sehr der junge Mörder dem Frankensteinschen Monster gleicht, allerdings mit gut wegretuschierten Wundnähten.
Mirjam fragt, ob ich etwas trinken möchte. Ich reagiere knurrig.
»Wir wollten doch aufhören, oder? Heute morgen haben wir noch geschworen, uns nicht gegenseitig zu verleiten.«
»Wer redet von Alkohol? Ich nehme ein Glas Mineralwasser.«
»Dann bring mir auch eins.«
Kurz darauf sitzen wir da und nippen mit langen Zähnen an einem Glas Mineralwasser. Schweigend. Ohne zur Seite zu blicken, höre ich an Mirjams Atem, daß es ihr gleich zuviel wird. Ich frage: »Hast du deine Pille rechtzeitig genommen?«
»Gerade erst.« Sie weint schon. »Etwas zu spät.«
»Das hier ist auch nix.« Ich stelle das Wasserglas hart auf den Beistelltisch. »Gieß mir was ein. Ich schaffe es heute abend sonst nicht.
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