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Tonio

Tonio

Titel: Tonio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.f.th. van Der Heijden
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Kneipenbesuch zeitigte ebenfalls selten etwas Spektakuläres, abgesehen von den hohen Rechnungen.
3
     
    So warm es auch war, Mirjam zitterte sacht und gleichmäßig – ein Mittelding zwischen Beben und Frösteln. Sie blickte starr, sofern ihr schwankender Kopf es zuließ, wie jemand, dem es übel ist und der sieht, wie sich der Raum dreht, auf einen Punkt vor sich auf den Boden, um sich nur ja nicht übergeben zu müssen.
    »Minchen, mir ist gerade was eingefallen … Frühjahr ‘89, dieses Arbeitszimmer am Kloveniers, das war alles großer Mist.«
    Mirjam sah nicht auf, gab keine Antwort.
    »Ich war tief enttäuscht. Huize Oldehoeck, in dieser riesigen Wohnung mit dir und Tonio glücklich zu werden, das hatte ich mir in den Kopf gesetzt. Wie du. Und dann war auf einmal dieser Großkotz mit seinem Cowboyhut und dem Abrißhammer da. Weißt du noch?«
    Mirjam nickte, aber es war nicht erkennbar, ob sie wirklich zuhörte.
    »Ich verstehe meine eigene Desillusionierung«, fuhr ich fort. »Aber das war keine Entschuldigung dafür, in die Kneipe zu gehen und so viele Abende mit Tonio zu verpassen … diese schöne Stunde, bevor er ins Bett gebracht wurde … Wie er holterdiepolter auf Knien und Ellbogen auf mich zugekrabbelt kam, sowie ich in die Diele trat. Er hat immer gelacht.«
    Mirjam legte ihre Hand auf meinen Oberschenkel und kniff kraftlos hinein. »Quäl dich nicht so«, sagte sie leise.
4
     
    Mitte Juni ‘89 ließ ich ein Taxi zum Kloveniersburgwal kommen. Das Zimmer war zum ersten Juli gekündigt. Ich lud meine Sachen in den Kofferraum, mit Ausnahme des zusammengeklebten Manuskripts, das ich auf der Rückbank bei mir behalten wollte. Als ich es die Steintreppe hinuntertrug, merkte ich erst, wie schwer es war, auch vom Klebstoff natürlich.
    Ich wollte die Art von Urlaub, wie ich sie mir am Ende eines arbeitsreichen Jahres vorgestellt hatte: ruhig, ohne Trinkorgien oder waghalsige Fahrten mit Speedbooten und Wasserskis. Ein zärtliches Zusammensein mit meiner kleinen Familie, von der Sonne in den Schatten und wieder zurück. Ein wenig schwimmen und spazierengehen. Nichts Exzentrischeres als eine Flasche kalten Rosé zum Mittagessen unter einem Sonnenschirm. Nachdenken über die nach dem Sommer anzupackende Arbeit … endlich wieder mit einem Füller schreiben, nicht mit einem Klebestift …
    Schöne Visionen, aber es war Mirjam, die sich auf die Suche nach einem Haus in Frankreich machte, das wir für sechs Wochen mieten konnten. Sie fand eine ehemalige maison d‘école in der Dordogne, ganz in der Nähe des mittelalterlichen Städtchens Monpazier. Das Haus, das zur Gemeinde Marsalès gehörte (alle älteren Einwohner hatten diese Schule einst besucht), lag nicht weit von einem Campingplatz entfernt, auf dem viele niederländische Familien Urlaub machten. Zu ihm gehörte ein künstlicher Badesee mit einem Sandstrand, an dem Tonio würde spielen können. Bescheidener ging es nicht, und es war genau das, was uns vorgeschwebt hatte. Zumindest mir.
    Wir reisten per Bus, der frühmorgens am Stadionplein abfuhr. Hintendrin war Platz für Fahrräder. Mirjam hatte ihr Rad samt Kindersitz mitgenommen: Dann waren wir etwas mobiler mit dem Kleinen, der gerade seinen ersten Geburtstag gefeiert und vor kurzem begonnen hatte, das eigenständige Laufen zu üben.
    Für die Nacht hatte ich für uns bei der Reiseleitung (das heißt: den beiden einander abwechselnden Fahrern) zwei Plätze hinten im Bus ausbedungen, so daß ich etwas bequemer mit meinem kleinen Sohn auf der zur Matratze umgeklappten Rückenlehne liegen konnte.
    Nach eineinhalb Stunden Schlaf setzte Tonio sich auf. Der Bus raste, nach meinem Eindruck viel zu schnell, durch die französische Nacht. Die Augen weit geöffnet, den Schnuller festgesaugt im Mund, richtete Tonio den Blick unverwandt auf die breite Frontscheibe am Ende des Gangs. Dort donnerte mit hoher Geschwindigkeit die Welt herein: schwindelerregende Schattenblöcke, die Scheinwerfer der entgegenkommenden Fahrzeuge, die sich hierhin und dahin windende Tüpfellinie der Straßenlaternen … Der kleine Körper schaukelte im Einklang mit der Radfederung. Ich hielt, auf die Handflächen gestützt nach hinten gelehnt, meine Beine locker um Tonio geschlungen, um ihn in unerwarteten Kurven vor dem Fallen zu bewahren. Er schaute gierig, neugierig, aber auch wachsam und sogar ein wenig ängstlich. Manchmal drehte er den Kopf kurz und fragend in meine Richtung, als verlange er eine Erklärung, was dieses

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