Tony Mendez 01 - Schwärzer als der Tod
hatte, schien es nicht wert, auch nur eine Minute damit zu vergeuden. Er hätte genauso tot sein können wie Frank Farman.
»Wollen Sie nicht vielleicht was von der kleinen Apotheke abgeben, die Sie dauernd mit sich rumschleppen?«, fragte er.
Vince holte ein Fläschchen aus seiner Jackentasche und schüttete ein paar Tabletten in seine Hand.
»Ich würde die länglichen weißen empfehlen«, sagte er. »Es sei denn, Sie ziehen Krämpfe in Erwägung. Dann würde ich die rosafarbenen nehmen.«
Mendez runzelte die Stirn. »Krämpfe?«
»Die Kugel ist hier eingedrungen«, sagte Vince und deutete auf die fünfcentstückgroße Stelle knapp unterhalb seines Jochbeins, an der sich glatte, glänzende neue Haut gebildet hatte. Kaum jemand erkannte diese Narbe als das, was sie war. Der Schnurrbart, den er sich hatte wachsen lassen, seit Mendez ihn das letzte Mal gesehen hatte, war wesentlich auffälliger.
»Kugel?«
»Soll ich die Sanitäter lieber zurückrufen?«, fragte Vince. »Sie wiederholen ja alles, was ich sage.«
»Was für eine Kugel?«
»Hätte ich es doch bloß kommen sehen«, sagte er nachdenklich. »Dann hätte ich den Kopf ein bisschen drehen können und mir vielleicht auch so eine hübsche Schramme
eingefangen wie Sie. Möglicherweise hätte es auch mit einer Augenklappe geendet. Meine Exfrau hatte eine Schwäche für Liebesromane mit Piraten.«
»Was ist passiert?«
»Die Readers-Digest -Version: ein drogenabhängiger Straßenräuber mit einer lächerlichen.22er. Das ist das Problem bei diesen kleinkalibrigen Waffen - was in den Körper eindringt, kommt nicht unbedingt wieder raus.«
»Sie laufen mit einer Ladung Blei im Kopf herum?«, fragte Mendez ungläubig.
»Das erklärt einiges, oder?«
»Ja, ehrlich gesagt schon.«
»Offiziell bin ich krankheitsbedingt beurlaubt.«
»Warum haben Sie nichts gesagt?«
»Tja … weil ich nicht will, dass es jemand weiß«, sagte Vince. »Sie dürfen mich ruhig paranoid nennen, aber ich glaube, dass die Leute einen anders behandeln, wenn sie wissen, dass man eine Kugel im Kopf hat.«
»Eigentlich müssten Sie tot sein.«
»Ja. Bin ich aber nicht«, sagte er mit einem Anflug eines Grinsens. »Das Leben ist eben unberechenbar. Betrachten Sie es nicht als selbstverständlich, mein Junge.«
Sie schwiegen einen Moment. Zwei Streifenwagen fuhren an ihnen vorbei auf den Parkplatz. Alles lief weiter wie gehabt. Die Show war vorbei.
»Sie wollen den Job wirklich an den Nagel hängen, oder?«
Vince nickte. »Wenn ich es noch nicht wusste, als ich herkam, dann weiß ich es jetzt. Heute Abend ist es mir klar geworden.
Wer will schon so enden wie Frank, mein Junge, nichts weiter als ein Kleiderbügel für die Uniform«, sagte er. »Alles, was zählt, ist die Arbeit. Sie bestimmt, wer man ist. Was man ist. Das hab ich alles schon hinter mir, jetzt reicht’s.
Natürlich sollen Sie Ihre Arbeit gern machen. Verstehen Sie mich nicht falsch. Gehen Sie ihr mit Leidenschaft nach. Aber machen Sie sie nicht zu Ihrem einzigen Lebensinhalt.«
»Was haben Sie vor?«
»Ein bisschen unterrichten, ein bisschen als Berater arbeiten, ein bisschen Leute anwerben um der alten Zeiten willen«, sagte er. »Aber vor allem will ich eine Frau und ein Privatleben haben. Und am Abend ein warmes Plätzchen, an dem ich meinen Kopf mit der Kugel darin auf etwas anderes betten kann als ein billiges Kissen in einem Holiday Inn. Es ist an der Zeit, dass ein ehrgeiziger Jungspund wie Sie an meine Stelle tritt und meine Arbeit fortsetzt.«
»Sie meinen, ich könnte es in die BSU schaffen?«
»Sie müssten natürlich ein bisschen praktische Erfahrung sammeln. Aber, ja, Sie sind ein heller Kopf, Tony. Denken Sie einfach mal darüber nach.«
»Das werde ich tun.«
»Versuchen Sie etwa, mir meinen besten Detective abzuwerben, Vince?«, fragte Cal Dixon, als er zu ihnen trat und sich auf den letzten freien Platz auf der Bank setzte. Wie Mendez hatte er geduscht und sich im Umkleideraum umgezogen. Statt seiner mit Frank Farmans Blut getränkten Uniform trug er jetzt Jeans und Pullover.
Vince breitete die Arme aus. »Was soll ich sagen? Ich bin eben ein Schweinehund. Ich will, dass er das Beste aus seinen Fähigkeiten macht.«
»Ausnahmsweise werde ich das mal durchgehen lassen«, sagte Dixon. »Schließlich haben Sie mir heute Nacht das Leben gerettet.«
»Sie haben das Ihre dazu getan. Ich bin nichts weiter als ein Schwätzer. Die Nonnen haben mir immer den Hintern versohlt, weil ich die
Weitere Kostenlose Bücher