Top Secret - Der Verdacht
kämpfte und mühte sich ab, das Seil festzuhalten, als die nächste Welle die beiden Frauen fast vom Anleger wusch.
Sowohl Yvette als auch das Mädchen schrien auf, als sie nach Luft schnappend wieder auftauchten, während das Wasser durch die Ritzen in den Holzplanken verschwand. Immer noch den Arm um das Mädchen geschlungen, rollte Yvette sich auf den Bauch und stellte entsetzt fest, wie dicht sie davor gewesen waren, ins Wasser gerissen zu werden.
Schnell hechtete sie auf George und die relative Sicherheit des Geländers zu.
»Ich hab dir doch gesagt, du sollst warten!«, schrie George wütend, bevor sie sich alle duckten und an das Geländer krallten und eine kleinere Welle über den Anleger rollte.
»Ich wollte nicht, dass du mich aufhältst«, rief Yvette, die den Tränen nahe war und erschrocken erkannte, dass sie jetzt ihr Leben einem Mann verdankte, den sie nicht ausstehen konnte. Vielleicht würde sie George mit seinen sexistischen Anspielungen und den nikotinverfärbten Fingernägeln nie mögen, aber immerhin hatte er sich als besser erwiesen, als sie es ihm zugetraut hätte.
Als erneut Wasser über sie hinwegsauste, kauerte sich Yvette über das Mädchen und fühlte sich seltsam erleichtert, die fette Hand auf ihrer Schulter zu spüren. Das Nylonseil hatte Georges Haut aufgerissen, und Blut lief ihm über die Finger.
Nachdem das Wasser der letzten Welle abgelaufen war, sah Yvette über das Geländer und stellte fest, dass die See gespenstisch ruhig geworden war.
»Das ist die Ruhe vor dem nächsten Sturm«, erklärte George eilig. »Die dicken Dinger werden gleich wieder anrollen.«
Der Wind heulte in der Metallkonstruktion des Anlegers, während sie die kurze Unterbrechung nutzten, um ans Ufer zurückzurennen.
1
Aero City liegt in einer ländlichen Gegend 300 Kilometer nordwestlich von Moskau. Noch in der Sowjetzeit errichtet, war die Stadt ein Zentrum für Luftfahrtforschung, und viele russische Zivilflugzeuge, Militärtransporter und Lenkraketen waren in ihren riesigen Fabrikhallen gebaut worden.
1994 verkündete die Regierung, die gesamte russische Industrie im Rahmen der sogenannten »Massenprivatisierung« verkaufen zu wollen. Korruption im großen Stil begleitete den gesamten Prozess, und viele von Russlands wertvollsten Vermögenswerten fielen in die Hände einer kleinen Gruppe von Männern und Frauen, die als die »Oligarchen« bekannt wurden.
Einer dieser Männer war Denis Obidin, der seine Position als kleinerer Bankangestellter dazu benutzte, seiner Frau und seinen Eltern in betrügerischer Absicht große Kredite einzuräumen. Mit dem Geld kaufte Obi din Anteile auf, die die Regierung an Fabrikarbeiter ausgegeben hatte, die keine Ahnung von deren Wert hatten. 1996 gehörte ihm ein Anteil an der russischen Luftfahrtindustrie, der schätzungsweise über 800 Millionen Dollar wert war.
Heute herrscht Obidin nicht nur über alle Fabriken und das meiste Land in Aero City, er hat sich durch Wahlbetrug auch zum Bürgermeister machen lassen. Als ein örtlicher Polizeichef ankündigte, gegen Korruptionsfälle in Obidins Administration vorgehen zu wollen, wurde er tot in seiner Wohnung aufgefunden, und Obidin ernannte seinen Bruder Vladimir zum Chef der hiesigen Polizei.
Anfangs hatte Obidin große Pläne, einen modernen russischen Jet zu entwickeln und zu bauen, der mit Boeing und Airbus konkurrieren konnte, doch sein Ruf, korrupt zu sein, schreckte ausländische Investoren ab, und keine Fluggesellschaft kauft Maschinen von einem Unternehmen mit zwielichtiger Vergangenheit und unsicherer Zukunft.
Nach einer Reihe von Rückschlägen liegt die Arbeitslosenrate in Aero City mittlerweile bei über 80 Prozent. Obidins einzige Fabrik, die noch in Betrieb ist, stellt eine kleine Anzahl von Marschflugkörpern für die russische Armee her und rüstet veraltete russische Flugzeuge mit effizienten britischen Düsentriebwerken aus. Doch angesichts der Budgetkürzungen im russischen Militärsektor und der Entwicklung bei den Airlines, eigene Flugzeuge kontinuierlich durch westliche Flugzeuge zu ersetzen, trocknet auch dieser Geschäftszweig langsam aus.
Obidin hat die Hoffnung aufgegeben, die Milliarden für sein Flugzeugprojekt zusammenzubekommen, und ließ an internationale Waffenhändler durchsickern, dass alles zum Verkauf stünde. Für den richtigen Preis kann ein Besucher in Aero City alles kaufen: von einer Ladung Raketentreibstoff über Blaupausen für den Bau eines Marschflugkörpers bis
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