Top Secret - Der Verdacht
inzwischen hatten die meisten jungen Familien Aero City auf der Suche nach Arbeit verlassen und die jugendlichen Missetäter gleich mitgenommen. Die einzigen Lebewesen, die James hier je gesehen hatte, waren ein paar obdachlose Jungen, die in einem verlassenen Wohnblock untergeschlüpft waren. Sie schnüffelten Leim in den maroden Eingeweiden eines alten Frachtflugzeugs und kickten gelegentlich einen schlappen Fußball im Hangar herum.
Als er sicher war, dass niemand in der Nähe war, blieb James stehen, setzte sich auf eine Betontreppe und lehnte den Rücken an eine Feuertür, die man aus den Angeln gerissen hatte, wahrscheinlich, um sie als Feuerholz zu verwenden. Er holte das Webhandy hervor und sah seine Nachrichten durch.
Die erste war von seiner Freundin auf dem CHERUB -Campus:
ALLES GUTE zum 15. Geburtstag!
Miss U!
Love U!
Komm bald wieder!
Hoffentlich ist es nicht so kalt.
Kerry
Auch von anderen Freunden vom Campus hatte James Geburtstagsgrüße bekommen, sogar von seiner Betreuerin Meryl Spencer. Die älteste ungelesene Nachricht war von seiner Schwester Lauren. Sie hatte sie am Abend zuvor geschickt:
Alles Liebe zum GBTag, Saftsack!
SORRY FÜR DIE VERFRÜHTEN GRÜSSE.
Mr Large schleift uns auf eine blöde
TreKking-Expedition.
Geschenk zu Hause!
PS: Lass die Finger von den Russen-mädchen, du Perverser!
2
Lauren Adams Leben war ruiniert, als zwei junge Cherubs, die erst vor Kurzem die Grundausbildung absolviert hatten, von einem Einsatz in den USA zurückkehrten. Dort hatten die beiden die meiste Zeit damit verbracht, sich Hamburger, Eiscreme und Softdrinks in rauen Mengen in den Schlund zu schieben – die strikte Vorschrift, sich in Form zu halten, hatten sie einfach in den Wind geschlagen. Jeder Cherub muss sich nach einem längeren Einsatz einem medizinischen Check und einem Fitnesstest unterziehen, und beide Jungen waren mit Glanz und Gloria durchgefallen.
Die Betreuer und Trainer von Cherub hatten die Köpfe zusammengesteckt und beschlossen, dass alle jüngeren Agenten einer deutlichen Erinnerung bedurften, wie wichtig es war, sich fit zu halten. Diese Erinnerung bestand in einem dreitägigen Gepäckmarsch über die Yorkshire Dales, angeführt von dem berüchtigten Norman Large. Alle CHERUB -Trainer sind taff, aber Large war der schlimmste, denn ihm machte es richtig Spaß, Kinder zu schinden.
Also wurden kurz nach Sonnenaufgang sechsundzwanzig Cherubs unter zwölf Jahren von einem Lastwagen abgeladen, und Large verkündete freudestrahlend, dass jeder von ihnen zusätzlich zu Zelt, Ausrüstung, Kleidung und Trinkwasser noch ein zehn Kilo schweres Eisengewicht im Rucksack mitschleppen durfte. Neunzig Minuten später wurden an einem Treffpunkt Porridge und heiße Getränke ausgegeben, und wer nicht rechtzeitig da war, musste bis zum Abend hungrig bleiben.
Lauren hatte es zwar zu Porridge und Heißgetränk geschafft, aber das war auch schon der Höhepunkt ihres Tages gewesen. Mittlerweile war es dunkel, und sie lag mit geschwollenen Knöcheln und roten Druckstellen von den Rucksackriemen auf den Schultern in einem Zweimannzelt. Sie beobachtete, wie sich der Schlafsack ihrer besten Freundin Bethany Parker im Rhythmus ihrer Atemzüge hob und senkte.
»Bethany?«, flüsterte Lauren und stieß die Freundin sachte an.
Bethany rührte sich nicht, also entschied Lauren, dass sie es nun wagen konnte, sich aus dem Schlafsack zu winden. Die Jeans hatte sie anbehalten, deshalb musste sie nur die Stiefel über die Socken stülpen, bevor sie zum Zeltausgang kroch und langsam den Reißverschluss aufzog, um möglichst wenig Lärm zu machen.
Der Vollmond spendete ausreichend Licht, als sie zwischen den Zeltreihen hindurch zu der Baumgruppe am Feldrand schlich.
»Rat?«, flüsterte sie. »Bist du da?«
Der kräftig gebaute Zwölfjährige rief mit seinem weichen australischen Akzent zurück: »Hier drüben!«
Lauren lächelte, als sie Rat an einem Baum sitzen sah. »Wie geht’s?«
»Ging schon mal besser«, meinte Rat und fuhr sich mit einer schmutzigen Hand durch die wirren Haare. »Am See hab ich mir den Knöchel verstaucht, und mein Rücken bringt mich noch um. Und bei dir?«
»Ähnlich«, erwiderte Lauren und zuckte resigniert die Achseln, als sie sich ins Gras setzte und an Rat kuschelte.
»Warum kommst du so spät?«
»Bethany. Ich dachte schon, sie schläft nie ein.«
Sie tauschten einen schnellen Kuss aus.
»Ist das alles, was ich kriege?«, erkundigte sich Rat empört.
»Du stinkst
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