Top Secret - Der Verdacht
abends für gewöhnlich fast menschenleer war. Wenn er zu dieser Zeit dort erwischt wurde, konnte er immer noch behaupten, die Türe habe offen gestanden und er sei auf der Suche nach Ewart, vorausgesetzt, man erwischte ihn nicht auf frischer Tat mit der Nase in Geheimunterlagen.
Es nieselte leicht, als er zum Missionsvorbereitungsgebäude hinüberging. Ein paar Mal verließ ihn der Mut, und er blieb unterwegs sogar stehen, bevor er schließlich doch auf den gewundenen Weg zu dem langen, bananenförmig gebogenen Gebäude einbog.
Bei Cherub bekommt man beigebracht, dass Selbstbewusstsein alles ist: Es ist am besten, so zu tun, als hätte man nichts zu befürchten, selbst wenn man sich in die Hosen macht. Der Campus wurde von zahlreichen Sicherheitskameras überwacht, aber bei Hunderten von Kameras und Hunderten von Leuten, die herumliefen, wurde das Sicherheitspersonal nicht misstrauisch, wenn etwas nicht zu offensichtlich verdächtig war.
James näherte sich dem Eingang zuversichtlich, zog die Karte durch, stieß die Tür auf, als es klickte, und versuchte, nicht zu auffällig den langen, sanft geschwungenen Gang zu Ewarts Büro so weit wie möglich hinabzuspähen.
Das Büro war nicht verschlossen. Normalerweise ging Ewart früh, um die Kinder aus dem Kindergarten abzuholen, aber James klopfte trotzdem vorsichtshalber. Als er keine Antwort erhielt, schlüpfte er hinein und knipste das Licht an.
Da er keine Schlüssel zu den Aktenschränken und Schubladen hatte, konnte James von Glück sagen, dass Ewart ein Schlamper war. Er sah mehrere Papierstapel auf dem Schreibtisch durch. Rechnungen, Flugtickets, eine Liste von Babysittern für die Kinder, eine Tierarztrechnung für Meatball und ein Haufen Zeug für eine neue Mission in Taiwan.
Frustriert zog James an den drei verschlossenen Schreibtischschubladen, dann fiel sein Blick auf einen großen Stapel Papiere auf dem gläsernen Tischchen vor Ewarts Sofa. Obenauf sah er sein eigenes Foto. Es war an dem Tag aufgenommen worden, als er Cherub beigetreten war, und er stellte überrascht fest, wie stark er sich verändert hatte. Das runde, unschuldige Gesicht erkannte er kaum wieder und konnte es nur um das völlige Fehlen von Pickeln beneiden.
JAMES ADAMS: VERTRAULICHE AKTE
Die Mappe war zehn Zentimeter dick und enthielt sein ganzes Leben. Zeugnisse ab der ersten Klasse aufwärts, eine Zusammenfassung seiner Leistungen in der Grundausbildung, verfasst von Mr Large, Einsatzberichte, Strafen. Es gab Überwachungsfotos von Laurens Vater Ron, den Bericht eines Pathologen über den Tod seiner Mutter – »totales Herzversagen aufgrund des Zusammenspiels von Alkohol und entzündungshemmenden Medikamenten, sekundäre Ursache Übergewicht« – und sogar Einzelheiten über den Inhalt ihres Safes. Es war eine reizvolle Gelegenheit, zu erfahren, was andere über ihn zu sagen hatten, aber das würde Stunden dauern, und James musste sich auf Ewarts Untersuchung konzentrieren.
Der Stapel war dreißig Zentimeter hoch und vermittelte auf jeden Fall den Eindruck, dass Ewart gründlich war. Beim Durchblättern stieß er auf Berichte über Boris und Isla einschließlich Fotos. Sie zeigten die beiden in jüngeren Jahren und ihre blutigen Überreste im Leichenschauhaus von Aero City. Isla hatte einen Schuss ins Gesicht bekommen, und James erkannte sie nur an ihrem Abendkleid und ihrer Uhr.
Außerdem tauchte häufig der Name von Lord Hilton auf, dem Vorsitzenden von Hilton Aerospace und wichtigem Geschäftspartner Denis Obidins. Hilton war regelmäßig im Fernsehen zu sehen, und James erinnerte sich an sein Gesicht, nicht weil er an der Luftfahrtindustrie so interessiert war, sondern weil Hilton nur eine einzige Augenbraue besaß, die sich quer über sein ganzes Gesicht zog. Ein gefundenes Fressen für Karikaturisten.
Der Inhalt der nächsten Mappe traf James wie ein Schlag: verschwommene Schwarz-Weiß-Abzüge auf Hochglanzpapier. Die Aufnahmen stammten aus Denis Obidins Büro und zeigten den Mord durch Isla und Boris. Sie waren eindeutig dem Filmmaterial der CIA entnommen, das er in Aero City gesehen hatte.
Die nächsten Seiten enthielten noch mehr Bilder, manche mit handschriftlichen Notizen versehen, während andere stark ausgepixelte Vergrößerungen von Details einzelner Aufnahmen zeigten.
Die letzte Seite war ein Fax:
Ewart!
Ich bin in den letzten Stunden das Material durchgegangen. Ich habe Schattendetails überprüft, Vergrößerungen gemacht und das Video Bild für Bild
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