TOP SECRET - Die Sekte
Sekten-Neuzugänge waren Menschen, die frisch geschieden waren oder ihren Job verloren hatten, Studenten, die zum ersten Mal weit fort von zu Hause lebten, oder ältere Leute, die seit Kurzem verwitwet waren.
Laut einem der Bücher gab es siebentausend bekannte Sekten mit über fünf Millionen Mitgliedern weltweit. Sie reichten von bettelarmen Gruppen mit ein paar Dutzend Anhängern, die in Zelten wohnten und sich von Müll ernährten, bis hin zu milliardenschweren Unternehmen mit eigenen Fernsehsendern und Markenprodukten.
Lauren saß neben James. Auch sie begann, sich für die Bücher zu interessieren, und so lasen sie sich gegenseitig einzelne Passagen vor, besonders die mit reißerischen Details über Sekten, die Politiker ermordet und Richter entführt hatten, und solche über Massenselbstmorde. »Hier«, meinte Lauren, »hör dir das mal an: Bislang wurden über siebzig Fälle von Massenselbstmorden verzeichnet. Der größte ereignete sich in der Gruppe Peoples Temple, wo Sektenführer Jim Jones seinen Anhängern den Selbstmord befahl und es neunhundert Tote gab. Babys und kleinen Kindern, die sich nicht selbst das Leben nehmen konnten, wurden Fläschchen mit Zyankali verabreicht. Und weiter unten heißt es:
Die Sekten, die sich um eine apokalyptische Vision herum gründen, sind meist am destruktivsten.«
James grinste schwach. »Na, das ist ja beruhigend.«
Im Februar herrscht in Australien Hochsommer und der fünfte Kontinent begrüßte James mit heißen achtunddreißig Grad. Es war die Art stickige Hitze, bei der einem das Hemd schon am Körper klebt, nachdem man drei Schritte aus einem klimatisierten Gebäude gemacht hat.
John und Chloe zogen los in ein Hotel in der Innenstadt. Abigail und die drei Kinder nahmen ein gelbes Toyota-Taxi. Brisbane war sauber und modern, aber Straßenbauarbeiten behinderten ihre Fahrt vom Flughafen weg, und sie steckten eine Dreiviertelstunde im Stau.
Während sie dahinkrochen, verdunkelte sich der Himmel, und riesige Regentropfen begannen, auf das Metalldach zu hämmern. Hinter den Hochhäusern im Stadtzentrum zuckten Blitze. Nachdem sie den Stau hinter sich gelassen hatten, preschten sie mit hundertzwanzig Stundenkilometern um die Außenbezirke der Stadt und erreichten schließlich einen Vorort, etwa zehn Kilometer von der Innenstadt entfernt.
Sie fuhren in ein vornehmes Neubaugebiet. Die gemähten Rasenflächen, frisch gepflanzten Bäume und der regennasse Asphalt sahen so ordentlich aus wie in einer Lego-Stadt. Als das Taxi in einer abschüssigen, mit Klinkerstein gepflasterten Einfahrt vor einem imposanten
Haus anhielt, schien bereits wieder die Sonne, das Regenwasser verdampfte, und ein schimmernder Hitzeschleier legte sich über den Ort.
James brachte seinen Rucksack und ein paar Koffer ins Haus, ließ sie auf den Holzfußboden der großen Eingangshalle fallen und betrachtete die beiden geschwungenen Treppen und die gigantische Kuppel, von der ein Kronleuchter hing.
»Geil!«, rief er mit einem Grinsen. »Wir sind stinkreich.«
Lächelnd betrat Abigail hinter ihm das Haus und setzte zwei Koffer ab. »Klar sind wir reich, James. Wenn es etwas gibt, nach dem die Survivors geifern, dann ist es die Aussicht, Abigail Prince zu rekrutieren: eine reiche, geschiedene Frau, die sich nach der schmutzigen Trennung von ihrem Millionärsgatten in ihrer alten Heimat Queensland niederlässt.«
»Mit ihren drei entzückenden Kindern im Schlepptau«, fügte James hinzu.
Lauren und Dana traten über die Türschwelle und einen Moment lang standen sie alle staunend in der mondänen Eingangshalle. Selbst Dana erlaubte es sich, beeindruckt zu wirken.
»Ich war noch nie hier«, erklärte Abigail. »Es wurde alles arrangiert, solange ich in England war. Angeblich sind die Zimmer für uns fertig eingerichtet, aber ich weiß nicht, wem welches gehört.«
James und Lauren rannten die Treppe hinauf, um nachzusehen. Es gab sechs Zimmer im oberen Stockwerk
und beim zweiten Versuch hatte James seines gefunden. Normalerweise hat man auf einer Mission nur das bisschen dabei, was man selbst eingepackt und mitgeschleppt hat, aber weil dieser Einsatz so lange dauern und die Familie Prince irgendwann bei den Survivors einziehen sollte, benötigte James alles, was ein wohlhabender australischer Junge eben so besaß.
ASIS hatte sich angestrengt, den entsprechenden materiellen Hintergrund für James Prince zu schaffen. Er besaß Schubladen und Schränke voller Kleidungsstücke - die meisten
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