Topchter der Köingin Tess 1
wegdenkt, könntet Ihr wahrhaftig ein Junge sein. Und Ihr wollt doch einen guten Eindruck machen, falls Ihr ihm auf den Fluren begegnen solltet – rein zufällig und aus Versehen, versteht sich.«
Meine Augenbrauen hoben sich bei dieser unverhohlenen Andeutung. »Und wenn ich dann in Ohnmacht falle, weil ich keine Luft bekomme, wird das ungeheuren Eindruck auf ihn machen, ja?«, erwiderte ich trocken, doch ein Stich der Erregung verhalf mir zu einer geraderen Haltung.
Heather summte frech die Musik vor sich hin, die ich für meine Hochzeit ausgewählt hatte, während sie mir in ein sauberes Kleid half. Sie war als Küchenmädchen in den Dienst des Palastes getreten, als sie acht Jahre alt gewesen war. Ich hatte sie mir für ein Fangenspiel ausgeliehen und danach darauf bestanden, dass sie ein Mitglied meines »Gefolges« wurde.
Gefolge war eine etwas großspurige Bezeichnung für die lose Ansammlung von Spielgefährtinnen. Ich war als Kind furchtbar aufdringlich gewesen und hatte verlangt, dass jeder mit mir spielte, ob adelig oder bürgerlich. Heather jedoch war geblieben, während die übrigen Kinder sich anderen Freunden zugewandt hatten – sie war meine stete Gefährtin und mein zweites Paar Ohren, denn sie trug mir immer den neuesten Klatsch und Tratsch des Palastes zu.
»Hast du ihn schon gesehen?«, fragte ich besorgt, während ich mich in raschelnden Stoff gehüllt vor meinem Spiegel im Vorzimmer niederließ. Sie war ungewöhnlich still gewesen, während ich mich vom Straßenschmutz gesäubert hatte, deshalb befürchtete ich schlechte Neuigkeiten.
»Wen denn?« Sie zog in gespielter Langeweile die Augenbrauen hoch.
»Garrett!«, rief ich und schob sie gereizt von mir, als sie versuchte, mein Haar zu arrangieren.
»Prinz Garrett von Misdev?« Sie sprach seinen Namen mit einem verträumten Seufzen aus, bei dem sich ihre füllige Brust dramatisch hob und senkte. »Die gesamte Dienerschaft hat ihn nach dem Frühstück gesehen, während Ihr fort wart. Danach hat er sich mit Euren Eltern zurückgezogen, und seither brüten sie über Papieren und Landkarten. Langweiliges Zeug. Es ist mir ein Rätsel, wie der arme Mann das ertragen kann. Gewiss wäre er viel lieber draußen bei der Beize oder einem langen Ausritt.«
Heather zog eine Locke aus meinem Haarknoten, und ich steckte sie wieder zurück. Es gefiel mir nicht, wenn sie so dicht an meinen Pfeilen hantierte; Heather hielt sie für nichts weiter als meinen bevorzugten Haarschmuck. Der Himmel mochte mir beistehen, falls sie sich je an einem stechen sollte. Innerhalb der Palastmauern trug ich aber weder mein Messer noch die Bullenpeitsche bei mir.
»Und wohin ist Kavenlow so eilig davongeritten?«, fuhr sie fort. »Die Köchin hat gesagt, dass er den ganzen kalten Braten genommen hat, den sie morgen auf den Tisch bringen wollte, und damit zum Stall gerannt ist. Was für einen Aufstand die Frau deswegen gemacht hat. Man hätte meinen können, er habe ein ganzes lebendes Schwein gestohlen, so hat sie geklagt und gejammert!«
Ich runzelte die Stirn. »Kavenlow hat den Palast verlassen? Zu Pferde?«
»Schnurstracks zum Tor hinaus.« Sie zupfte eine weitere Locke heraus. »Kieljauche, Tess, so erlaubt mir doch endlich, Euer Haar herunterzulassen! Was habt Ihr Euch nur so? Und warum darf ich Euch vorne nicht ein bisschen auspolstern? Nur heute? Ihr seid so groß und dünn wie ein Jollenmast.«
Entnervt ließ ich die Locke hängen. Heather war deshalb so besessen von meinem Äußeren, weil es mir an Reizen fehlte, ganz im Gegensatz zu ihr. Sie war einen halben Kopf kleiner als ich und an den richtigen Stellen hübsch gerundet, sie hatte rosige Wangen, blondes Haar und ein breites Becken, das viele Kinder versprach. Gutes, solides Costenopolis-Blut, wie Kavenlow gesagt hätte.
»Kavenlow hat sich nicht von mir verabschiedet«, überlegte ich laut. »Das sieht ihm gar nicht ähnlich.« Dann hellte sich meine Miene auf. »Vielleicht hat es etwas mit einem Verlobungsgeschenk zu tun.«
»Das muss es sein«, sagte Heather. »Aber warum er die Speisekammer geplündert hat, ist mir trotzdem ein Rätsel.«
»Wir haben nichts gegessen, während wir draußen unterwegs waren.« Vorsichtig zog ich die Pfeile aus meinem Haarknoten und steckte sie in das Haarnadel-Kissen. Meine Locken fielen offen herab, und ich griff nach der Bürste.
Der Ausflug heute Vormittag war ein leicht durchschaubares Manöver gewesen, um mich aus dem Palast zu entfernen, damit ich Garrett
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