Tore der Zeit: Roman (German Edition)
»Tut mir leid«, murmelte sie. »Das war alles ein bisschen viel für mich. Erst das verfluchte Tor, dann die Zeitreise. Und jetzt du.«
»Ja«, sagte Yvonne. »Jetzt ich.«
Sie schwiegen einen Augenblick. Als Yvonne schließlich den Kopf hob, lächelte sie versöhnlich. »Ich bin jetzt eine von ihnen«, sagte sie und spielte mit dem Elfenbeinstab. »Eine von Beliars Fürsten. Das hier – Ardor magyca – gehört mir.« Sie hob das Zepter. Die Flammen im Kamin schossen in die Höhe. Eine Funkenwolke stob empor. Als Yvonne den Stab senkte, sank das Feuer gehorsam zusammen.
Ravenna schluckte. Die Frau auf dem Teppich war nicht ihre Schwester. Die Fürstin des Feuers war eine Fremde in Yvonnes Körper. In ihren Augen stand ein ungewohnter Ausdruck von Gier.
Wachsam ging sie zum Kamin und streckte die Hände nach der Wärme aus. Auf einem Pferd mit brennender Mähne – so hatte sie ihre Schwester zuletzt in die Nacht stürmen sehen. Da war Yvonne schon von der Macht des Teufels besessen.
»Was ist bloß los mit dir?«, fragte sie leise. »Lucian und ich sind überall hingefahren. Zu jeder magischen Messe, in jeden Konvent, an jeden Kraftort, den wir ausfindig machen konnten. Mont-Saint-Michel, die Externsteine, die Menhire von A Coruña … Wir haben alles unternommen, um eine Spur von dir zu entdecken.« Sie drehte sich um. »Weißt du nicht mehr, wie es früher war? Als wir uns in Straßburg eine Wohnung teilten? Du wolltest, dass ich alles über Magie lerne. Ich wollte, dass du glücklich bist. Wir waren uns so nah. Was ist nur mit uns passiert?«
Yvonne legte den Kopf in den Nacken und blickte aus schmalen Augen zu ihr auf. »Was passiert ist? Du hast dich verliebt. In den Falschen. Dein Ritter ist der Ansicht, dass man Magie kontrollieren kann. Dass sie Regeln gehorcht. Den Regeln der Sieben, um genau zu sein. Aber wie kann das sein? Magie ist …« Yvonne breitete die Arme aus. Der Feuerschein huschte über ihr Gesicht. »Allumfassend. Unendlich. Das Sein . Anfang und Ende des Universums.«
»Das Rad des Lebens«, murmelte Ravenna. Sie dachte an die Hexenfeste. Jede ihrer Freundinnen trug die Verantwortung für ein anderes Siegel. Die achte und letzte Zauberin – das war Morrigan. Die Hexengöttin.
Yvonne nickte. »Ganz genau. Ohne Magie ergibt nichts einen Sinn. Nichts ist erfüllt. «
Ravenna betrachtete sie. »Und daran glaubst du? Dass du nichts bist ohne diesen …« Sie deutete auf das Zepter der Feuerfürstin. »Zauberstab?«
Yvonnes hübsches Gesicht verdüsterte sich.
»Die Sieben haben mich vor dir gewarnt«, fuhr Ravenna fort. »Lucian hat mich vor dir gewarnt. Und die Alte auf dem Hexenmarkt. Sie haben behauptet, du seist unberechenbar und verantwortungslos und brächtest den Zirkel der Sieben in Gefahr. Ich habe immer gehofft, sie hätten Unrecht. Jetzt sehe ich, dass ich ihre Warnungen ernst nehmen muss.«
Sie ging zur Tür und rüttelte daran. Die Tür war verschlossen. Auch als Ravenna sich mit der Schulter gegen das Holz warf und die nicht unerhebliche Kraft einer Steinmetzin einsetzte, sprang der Riegel nicht auf.
Als sie sich umdrehte, war Yvonnes Lächeln verschwunden. Ihre Schwester saß auf dem Teppich, in einer Wolke aus Seide und Brokat, während sie das Zimmer nach verborgenen Spiegeln und Spionen durchsuchte. Auf dem Kaminsims wurde sie schließlich fündig. Auf einem dreibeinigen Gestell ruhte ein Rauchkristall, ein scheußliches, rundes Ding. Als sie den Stein in die Hand nahm, fühlte er sich warm an. Ein Teufelsauge.
Sie vermied es, in den Kristall zu blicken. Stattdessen holte sie aus und pfefferte den Stein mit Schwung über den Tisch hinweg durchs Fenster. Das Glas knackte dumpf, als es barst. Ihr Treffer hinterließ ein faustgroßes Loch in der Scheibe. Ein Wächter im Hof schrie erschrocken auf. Mit grimmiger Zufriedenheit hörte Ravenna, wie der Kristall auf dem Pflaster aufschlug und zersplitterte.
»Ausspähen lässt du dich also auch noch!«, warf sie Yvonne vor. »Du weißt hoffentlich, dass man durch ein Teufelsauge beobachten kann, was in diesem Zimmer passiert.«
Mit einem gereizten Seufzen griff ihre Schwester nach der Lehne eines Stuhls und zog sich hoch. »Du hast echt keine Ahnung«, gab sie zurück. »Der Stein gehörte mir. Niemand anderes könnte etwas mit dem Kristall anfangen. Ich habe ihn benutzt, wenn mir langweilig war. Im Winter kann es in einem mittelalterlichen Schloss nämlich verdammt langweilig werden. Aber zum Glück ändert sich das
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