Tore der Zeit: Roman (German Edition)
sieben Zauberinnen vom Hexenberg. Ravenna, die Hüterin der Tormagie. Ravenna, der neue Shootingstar beim WizzQuizz. Dabei hattest du das ganze magische Wissen von mir! Alles – du hast sogar mein geheimes Tagebuch gelesen. Das Buch der Schatten.«
Der Dolch klirrte auf den Rand des Tellers. Yvonnes Augen funkelten. »Ich habe von deiner ewigen Bevormundung endgültig die Nase voll! Ich habe es satt, dass du mir alles, wovon ich träume, vor der Nase wegschnappst. Und ich finde tatsächlich, du und Lucian, ihr habt einen kleinen Dämpfer verdient. Schließlich bist du nicht meine Aufpasserin und bestimmt auch nicht die letzte moralische Instanz in Sachen Magie. Du bist bloß meine große Schwester.«
Ravenna wandte sich ab und ging zum Fenster. Durch das Loch, das ihr Wurf hinterlassen hatte, starrte sie hinunter in den dunklen Innenhof. Wächter gingen vor der Barbakane auf und ab. Jenseits der halbrunden Vorburg konnte man die Stadt erahnen. Bunt zusammengewürfelte Fachwerkhäuser. Ein verwirrendes Labyrinth aus Schornsteinen und Dächern. Aus manchen Kaminen stieg eine dünne Rauchsäule auf. Leichte Schneeflocken fielen vom Himmel.
Fröstelnd fasste sie sich an den Oberarmen. »Genau«, murmelte sie. »Ich bin bloß deine Schwester. Und Lucian ist Velascos Sohn. Deshalb wird ihn der Hexer töten. Wenn nicht heute Nacht, dann eben später. Langsam und grausam. Aber umbringen wird er ihn. Willst du das, Yvonne? Ist das die Art von Dämpfer, die du dir vorgestellt hast?«
Das Klappern des Messers hörte auf. Der Stuhl scharrte über den Boden. Seufzend stand ihre Schwester auf.
»Warum musst du bloß immer dermaßen übertreiben?«, fragte sie. »Niemand stirbt heute Nacht. Lucian wird genauso auf die kommende Herausforderung vorbereitet wie du. Es geht um eine Wette, Ravenna. Der Teufel gegen den Fürsten der Erde. Das ist die Art von Spektakel, die das Publikum im Mittelalter in Atem hält. Begreifst du denn nicht: Das WizzQuizz wird in dieser Zeit fortgesetzt. Mit neuen Aufgaben. Anderen Zuschauern. Und vor einer echten Kulisse.«
Ravenna drehte den Kopf und musterte ihre Schwester. »Dann hilfst du mir also nicht? Du überlässt uns einfach unserem Schicksal?«
Yvonne lachte hell und unbekümmert auf. »Aber natürlich helfe ich dir, Dummchen. Allein bekämst du die Schatztruhe vermutlich sowieso nicht auf.«
Mit dem Kästchen auf den Knien setzte sich Ravenna auf die warmen Herdsteine. Ihre Hände zitterten so sehr, dass sie versucht war, die Truhe in die Flammen zu stoßen. Aber sie beherrschte sich und hielt die Kiste nur stumm auf dem Schoß, während Yvonne in der Kammer umherging und Vorbereitungen traf.
Ravenna starrte in die Glut, bis jener Sommerabend vor ihrem geistigen Auge auftauchte, an dem Beliar ihre Schwester in den illustren Kreis der Fürsten aufgenommen hatte. Im Garten seiner Burg hatte er ihr das magische Zepter überreicht und sie zu seiner Vasallin gemacht. Das war der Grund für Yvonnes Verwandlung. Die Macht des Teufels vernebelte ihren Verstand. Es tröstete Ravenna, wenn sie sich an diesen Gedanken klammerte. Magische Macht war wie ein starkes Rauschgift, eine Droge. Ravenna schauderte. Sie hoffte, dass es wirklich so war. Denn alles andere hätte ihr das Herz gebrochen.
»So – dann wollen wir mal sehen.«
Sie schreckte auf, als Yvonne sich neben sie setzte. Auf ihren Knien lag ein großes, unhandliches Manuskript. Eine Handschrift. Yvonne schlug das in Leder gebundene Buch auf. Die Seiten waren eng beschrieben.
»Was ist das?«
»Eine Inventarliste des Schlosses«, erklärte Yvonne. »Velasco ließ sie anlegen, als er wieder die Herrschaft über die Festung übernahm. Um festzustellen, ob ihm die Doña de Aragon etwas gestohlen hatte, führte er alle magischen oder besprochenen Gegenstände darin auf, vom Silberlöffel bis zu den riesigen Kupferkesseln im Sudhaus. Hat das Kästchen irgendwo eine Nummer?«
Ravenna drehte die Truhe nach allen Seiten. »Ja, hier auf der Unterseite«, murmelte sie. Im Flammenschein las sie: » CdC-Ch-T4-56-sur-Tab. Keine Ahnung, was das bedeuten soll.«
Sie hatte die Nase voll von Rätseln und Quizfragen. In der Wärme am Feuer fielen ihr beinahe die Augen zu. Sie wagte jedoch nicht, ihrem Schlafbedürfnis nachzugeben, aus Angst, dass noch etwas Schreckliches geschah. Andererseits war das Furchtbare vielleicht längst passiert, und sie konnte nichts dagegen tun: Die Tür der Kammer war von außen verriegelt. Die Fenster waren zu schmal,
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