Tore nach Thulien 2 : Dämmerung (German Edition)
als so manch anderer, aber solange er im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte war, wollte er Ort und Zeit selbst bestimmen können.
Später als ihm lieb war, erreichte er das große Eingangsportal des Hospitals. Er musste kurz verschnaufen und sah dabei über die Schultern. Von den weißen Ungeheuern war nichts zu sehen, doch konnte er deutlich lang gezogene, seltsam regelmäßige Schritte hören. In der Gasse war keine Menschenseele. Eigentlich hätte Eirik eher verzweifelt darauf reagieren müssen, doch irgendein abgebrühter Teil seines Verstandes brachte ihn dazu, erleichtert zu sein. Vielleicht konnte die Sache ja noch geheim gehalten werden. Bisher wusste jedenfalls nur eine handvoll Menschen von der Existenz der Leichen, und die Widergänger hatte, außer dem Toten an der Treppe, nur er gesehen.
Eine knarrende Diele riss Eirik plötzlich aus seinen Gedanken. Sofort lief er schnaufend weiter, und erschrocken über sich selbst, schüttelte er den Gedanken von eben ab. Die Existenz der Widergänger zu verleugnen wäre eine Katastrophe. Die Menschen, allen voran Hauptmann Taris und der Herzog, mussten davon erfahren. Erneut warf der Medikus einen Blick über die Schultern, und diesmal sah er zwei weiße Gestalten, die wenige Schritte hinter ihm aus dem Portal huschten. Mit angehaltenem Atem drückte sich Eirik hastig an die vom Regen der letzten Tage noch immer feuchte und kalte Hauswand. Er zitterte am ganzen Körper, und das lag nicht nur an der frischen Abendluft. Von der Leue zog Nebel herauf und das Licht des vollen Mondes brach sich diffus und wirr in den dichten Schwaden. Eirik beobachtete die beiden weißen Schemen. Scheinbar hatten sie ihn noch nicht entdeckt. Sie standen mitten auf der Straße und suchten nach ihm. Kein Laut kam dabei über ihre Lippen und wenn sie miteinander kommunizierten, dann auf eine dem Medikus völlig unbekannte Art und Weise. Langsam setzte sich Eirik wieder in Bewegung. Keine zehn Schritte vor ihm bog eine kleine Nebengasse nach links ab und führte auf die andere Seite des Hospitals. Wenn er erstmal dort war, konnte er den direkten Weg zur Garnison einschlagen. Mit diesem Ziel vor Augen setzte er mühsam einen Schritt vor den anderen. Er musste sich konzentrieren. Seine Knochen waren alt, und auch wenn sie ihm bisher noch nicht den Dienst versagten, so gehorchten sie ihm zumindest nicht immer, und ein Geräusch im falschen Moment konnte tödlich sein. Eirik schob sich an der Hauswand entlang. Tastend und mit zitternden Händen arbeitete er sich voran. Er musste sich zwingen, nicht ständig über die Schultern zu blicken. Gleich hatte er es geschafft, nur noch ein paar Schritte. Mit einer letzten Willensanstrengung torkelte er schließlich, mehr als das er lief, um die Gebäudecke. Dort angekommen, rutschte er vor Aufregung und Erschöpfung auf den kalten, glatten Steinboden. Er atmete schwer und fasste sich an die Brust. Nach einigen Augenblicken beugte er sich leicht zur Seite und spähte vorsichtig um die Ecke. Die Haare, mittlerweile schweißnass, hingen ihm dabei in langen, weißen Strähnen ins Gesicht. Von den beiden hellen Schemen fehlte jede Spur. Für einen kurzen Augenblick wähnte er sich in Sicherheit, doch schon einen Moment später gemahnte er sich zur Eile. Früher oder später würden sie ihn hier finden! Mit einem unterdrückten Stöhnen zog er sich wieder an der Mauer hoch und lief weiter. Das Ende der kleinen Gasse kam immer näher und mit ihm die Hoffnung, diesen beiden Ungeheuern zu entkommen. Gleich würde er sich nach rechts wenden und dann immer geradeaus nach Fuhrheim laufen. Wo zum Henker waren nur die Nachtwächter? Um diese Zeit machten sie eigentlich immer ihre Runde. Eirik kämpfte die aufkeimende Verzweiflung nieder und setzte stoisch einen Fuß vor den anderen. Seine Flucht war schon längst vom anfänglichen Rennen in ein fahriges Humpeln übergegangen. Der Atem ging rasselnd und die Luft wich pfeifend aus den Lungen. Lange, das wusste er, würde er das nicht mehr durchhalten. Endlich war das Ende der Gasse nah. Ein letztes Mal sah der Medikus über die Schultern, und ausgerechnet in diesem Moment schoben sich zwei helle Schemen vor den dunklen Fleck am Ende des Sichtfeldes. Eirik stöhnte verzweifelt auf. Mit letzter Kraft schleppte er sich um die Biegung am Ende der Gasse und blieb wie versteinert stehen. Vor ihm stand eine Gestalt im Nebel und starrte ihn an. Zu dritt, sie sind zu dritt , durchfuhr es den Medikus,
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