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Torstraße 1

Torstraße 1

Titel: Torstraße 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sybil Volks
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es.
    Luise schüttelt den Kopf. Das ist kein Ausweg, signalisiert sie, und sagt stattdessen: »Ich bau dir jetzt ein Bett. Du hast zu viel getrunken, und es ist spät.«
    Sie steht auf, und er lässt sie ziehen. Das können sie hier und heute nicht klären. Und morgen auch nicht.
    Als er schon einige Minuten im dunklen Wohnzimmer auf der Couch liegt, klopft es noch einmal zaghaft an die Tür. »Herein«, sagt er, als sei dies hier seine Wohnung. Luise setzt sich zu ihm auf die Couch. Er will sich aufrichten, aber die Tochter legt ihm eine Hand auf die Brust und drückt ihn sanft ins Kissen. Sie hat eine dicke Strickjacke über ihr Nachthemd gezogen, die er noch von Karla kennt. Er fühlt, wie ihm die Augen brennen, als müsse es nun gleich aus ihm herausweinen, und schluckt und schluckt, bis das Gefühl verschwunden ist.
    »Ich habe mich mit Jonas getroffen«, flüstert Luise, und im ersten Moment weiß Bernhard nicht, von wem die Rede ist. Er schaut seine Tochter fragend an. »Jonas, du weißt schon. Elsas Sohn. Er sieht Elsa unglaublich ähnlich, finde ich. Hat ein kleines Mädchen, ein paar Monate erst, und ist Musiker geworden.« Luise macht eine Pause, als sei sie sich nicht sicher, ob es gut ist, das alles ihrem Vater zu erzählen. Aber dann redet sie weiter, als sei es nun auch egal. »Jonas ist ein toller Typ. Wenn ich Uwe nicht hätte, wirklich, der könnte mir gefallen.« Bernhard sieht Luise an und staunt, aber er schweigt und lässt sie erzählen. »Jonas trifft sich hier mit Musikern, Bands. Solche, die nicht vom FDJ-Zentralrat auf Tournee geschickt werden, weißt du. Die im Prenzlberg in den Hinterhöfen spielen. Stephan Krawczyk. Solche eben.«
    Luise fängt an zu stammeln. Es ist ungewohnt für sie, denkt er, über diese Dinge mit mir zu reden. Auch wenn er ganz ruhig daliegt, die Hände unter dem Kopf verschränkt, und sie anschaut, als hätten sie das schon hundert Mal geübt. So zu sprechen. Dabei ist es doch eine Premiere.
    »Jedenfalls habe ich mich mit Jonas getroffen, vor zwei Wochen. Er hat mir Fotos gezeigt. Von Elsas Hochzeit. Ich wusste gar nicht, dass sie noch mal geheiratet hat.« Luise schaut ihn fragend an. Als er schweigt, fährt sie fort: »Sieht nett aus, ihr neuer Mann, wirklich. Jonas hat mir erzählt, er ist Restaurator, repariert Holzfiguren oder so. Und auf den Fotos von der Hochzeit, da war auch Opa Wilhelm drauf.«
    Sie schaut ihn wieder fragend an und schweigt, deshalb muss er nun wohl oder übel doch etwas dazu sagen. Er will nicht. Ihm liegt sowieso im Magen, dass Elsa noch einmal geheiratet hat. Als habe er irgendeinen Anspruch auf die Frau, als sei es ihr verboten, sich neu zu binden. Er weiß, wie ungerecht das ist, so zu denken, wie abwegig, wo er ja schließlich auch … Aber das ändert nichts daran, es kommt ihm falsch vor, dass Elsa wiedergeheiratet hat. Und als die Einladung zur Hochzeit kam, hatte er sich mit Wilhelm gestritten.
    »Ich wollte nicht, dass Wilhelm fährt, hat mir nur Ärger gebracht in der Redaktion. Aber er ist gefahren, wollte Elsa unbedingt wiedersehen und Vicky. Hat mir gestanden, dass Vicky ihn auch manchmal besucht. Sie waren sogar zusammen beim Institut.« An der Stelle macht Bernhard eine Pause. Es hat ihn fürchterlich geärgert. Da kommt Vicky einfach her, besucht Wilhelm und nimmt ihn mit auf einen Ausflug zum Institut. Haben auch noch versucht hineinzukommen, die beiden. Besser, er schweigt an dieser Stelle. Sonst muss er Luise noch erzählen, dass er zur Parteileitung zitiert worden ist wegen Wilhelms Kapriolen, sich rechtfertigen musste, als ob er der Aufpasser seines Vaters wäre. Bei dem Gespräch hat er noch den großen Max gespielt. »Mein Vater ist kein Kind mehr, sondern Rentner. Der kann tun und lassen, was er will«, hat er gesagt, und ihm war nicht recht gegeben worden. Ganz förmlich ist der Parteisekretär geworden, als er ihm bedeutet hat, dass er als Genosse sehr wohl Verantwortung für das Verhalten seines Vaters habe. Schließlich arbeite er hier nicht bei einer Provinzpostille, sondern beim Zentralorgan.
    Bernhard erzählt nichts von alledem, sondern streicht Luise übers Haar. »Pass auf, Mädchen«, sagt er. »Du weißt, ich kann das nicht gutheißen. Jonas mag ja ein netter Kerl sein, aber er kommt von drüben. Die denken anders, leben anders und wollen etwas ganz anderes als wir. Vergiss das nicht.« Nun hat er argumentiert, als sei der Sohn von Elsa ein Ausländer. Dabei könnte er unter anderen Umständen, denkt

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