Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tortengraeber

Tortengraeber

Titel: Tortengraeber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
Vom Netzwerk:
Polizei lächerlich zu machen. Freunde? War es besser, sich vor Freunden lächerlich zu machen?
    Vavra gab sich nur hin und wieder diesem seinem Vergnügen hin. Und tätigte nie mehr als einen erfolgreichen Anruf pro Abend. Daß er dabei etwas Unkorrektes tat, kam ihm sehr wohl in den Sinn, so unkorrekt, wie den Fiskus um ein paar hundert Schilling zu betrügen, sich nach Beginn des Kinofilms in eine bessere Reihe setzen oder auf dem Gehsteig parken. Ihn plagte keine Sekunde ein schlechtes Gewissen. Schließlich griff er die Frauen nicht an. Daß er ihnen in die Seele griff, nicht mit einer Pranke, sondern mit einem feinen, scharfen Instrument, das mußte er zugeben. Aber deshalb von Terror sprechen? Wirklich nicht, sagte sich Vavra, das mußten diese Weiber schon aushalten, ohnehin ein zähes Volk.
    Warum also nicht jene Nummer probieren, die auf dem Geldschein stand? Aus dem Ärgernis vielleicht sogar einen Profit ziehen. Eine schöne Möglichkeit. Er holte sich den Telefonapparat, den er auf seinem Schoß plazierte, streckte seine Beine aus, entspannte sich, und erst als sein Atem ruhig und gleichmäßig ging, wählte er die Nummer. Bei aller atemtechnischen Gelassenheit fuhr ihm die Erregung wie ein kundiger Griff zwischen die Beine, als er nun eine Frau vernahm, die sich mit »Hafner« meldete. Vavra schwieg in gewohnter Weise. Souverän, wie er das bei sich nannte. Die Frau erklärte mit einer Stimme, deren Festigkeit einen nervösen Unterton besaß, sie sei bereit, sämtliche seiner Forderungen zu erfüllen.
    »Wie?« wäre es Vavra fast entschlüpft.
    »Aber ich bitte Sie, töten Sie meine Tochter nicht.«
    Gerne hätte Vavra darauf insistiert, daß ihm nichts ferner lag. Auf was für Sachen kamen die Leute bloß? Verdammte Hysterie. Konnte man sich denn keinen biederen kleinen Streich mehr erlauben, ohne gleich der ungeheuerlichsten Absichten verdächtigt zu werden?
    Die Frau sprach von Geld, erwähnte die Banken, die sich Zeit ließen. Natürlich ließen sich Banken Zeit, aber Vavra verstand nicht. Hörte auch nicht mehr richtig hin, schwieg in die verwirrende Rede hinein, dachte an seine eigenen Sorgen, an den jungen Kollegen, den man ihm zur Seite gestellt hatte, zu seiner Entlastung, wie es hieß. Daß er nicht lachte. Der Bursche hatte keine Ahnung. Besaß zwar tausend Abschlüsse, wie das jetzt Mode war, kam aus Deutschland, wie das jetzt auch Mode war, aber hatte nie in seinem Leben auch nur eine Suppe selbst zubereitet. Vavra war nämlich der Überzeugung, daß, wer zeitgenössische Nahrungsformen entwickelte, der traditionellen Kochkunst mächtig sein mußte, so wie jeder ernstzunehmende abstrakte Künstler sich in seinen Anfängen mit der Gegenständlichkeit beschäftigt hatte. Nein, er wußte ganz gut, daß ihm der Laborchef diesen jungen Ehrgeizling nur deshalb vor die Nase gesetzt hatte, damit er, Vavra, jenen Druck verspürte, den man neuerdings für unerläßlich hielt, um die Kreativität der Mitarbeiter anzustacheln.
    Vavra legte auf. Einfach verrückt, dachte er, und meinte damit den heraufbeschworenen Konkurrenzkampf, der die Leute in Wirklichkeit von ihrer Arbeit abhielt, da sie primär damit beschäftigt waren, Intrigen zu entwickeln, Querelen auszutragen, Angriffe abzuschmettern. An die Frau, die Merkwürdigkeit, daß sie seinen Anruf erwartet zu haben schien, dachte er nicht weiter. Wozu sich den Kopf zerbrechen? Er gab sich noch kurz dem Fernsehen hin, was in diesem Moment gar keine schlechte Lösung war. Als er sich eine halbe Stunde später erhob, um schlafen zu gehen, fiel sein Blick auf den Tisch, dort, wo noch immer der Zwanzig-Schilling-Schein lag. Er nahm das Ding, das seine morgendliche Verstimmung und seine abendliche Enttäuschung verursacht hatte, und wollte es zurückstecken. Da war nun aber das unklare Gefühl einer Bedrohung, die von diesem Schein ausging. Er wollte sich nicht länger aufregen müssen. Und er wollte diese Schandtat aus dem Umlauf ziehen, weshalb er das Geld in den Holzofen warf, wo die Glut zwar nicht der Angelegenheit, aber dem bedruckten und beschmierten Papier ein rasches Ende bereitete.
    Vavra fühlte sich ärmer, aber auch reicher. Er vollzog die Abendtoilette mit der gewohnten Gründlichkeit und legte sich ins Bett, wo er sogleich, wie alle Menschen reinen Gewissens und dank der Wirkung einer zuvor eingenommenen Tablette, in den Schlaf sank.
    Leider blieb er dort nicht lange, da nur Minuten später der Lärm berstender Fenster und Türen den Erfolg

Weitere Kostenlose Bücher