Tortenschlacht
Weckzeit auf die Vier. Der große Minutenzeiger steht eine Minute davor auf der Drei.
»Jetzt ist der Zeitzünder scharf.«
»Aha«, Beylich, der den Vorgängen ungeduldig zugesehen hat, starrt den Brandermittler an, »und was zündet er?«
»Aceton.« Der Brandermittler deutet wieder hinunter in den Hof, wo sein Kollege eben ein Fläschchen Nagellackentferner in der Spreu des Katzenklos vergräbt. Dann legt er den präparierten Wecker vorsichtig so auf die Spreu, dass der Klöppel zwischen den Schellen genau über der aufgeschraubten Öffnung des Fläschchens zu liegen kommt.
»Achtung«, macht der Brandermittler, »jetzt geht’s gleich los!« Sein Kollege auf dem Hof geht etwas in Deckung.
»Das Aceton aus dem Nagellackentferner vermischt sich mit Luft«, erklärt der Brandermittler, »und wird durch Funken …«
Schon passiert’s: Der Wecker beginnt zu klingeln, im selben Moment pufft es dumpf, und das Katzenklo steht in lodernden Flammen.
»… zur Explosion gebracht«, beendet der Ermittler seinen Satz und nickt anerkennend. »Wenn man bedenkt, dass das nur hundertfünfundzwanzig Milliliter Aceton waren, ist das eine enorme Wirkung.«
In der Tat. Ich bin beeindruckt. So eine einfache Konstruktion und doch fast die Wirkung einer Bombe. Wahnsinn.
Beylich tritt neben mich. »Tja, Hauptkommissar, das waren Leute mit Köpfchen und Verstand.«
»Man sollte Nagellackentferner verbieten«, ich bin einigermaßen erschüttert, »das Zeug scheint lebensgefährlich zu sein.«
»Stellt sich die Frage«, Beylich atmet tief durch, »wer könnte Interesse an einem derartigen Anschlag auf die Hausbesetzer haben?«
Womit wir wieder beim Thema wären. So ein Brandbömbchen kann jeder bauen, der auch nur halbwegs technisch versiert ist, und nach wie vor tippe ich auf Nachbarn aus der unmittelbaren Umgebung der Hausbesetzer.
Auch Beylich hat seine Meinung nicht geändert: DDR -Bürger hätten für so was keinen Westwecker benutzt.
Einig sind wir uns darin, dass durchaus die Hausbesetzer selbst den Brandsatz gelegt haben könnten. Vielleicht um auf sich aufmerksam zu machen oder wegen etwaiger Rivalitäten untereinander.
»Haben Sie mit Ihrer Tochter schon gesprochen?«
»Ja und nein«, erwidere ich.
»Das heißt?«
»Das heißt, dass Sie mir nichts über irgendwelche Feindschaften und Streits unter den Hausbesetzern erzählt hat«, antworte ich und gebe zu, »ich habe sie aber auch nicht dezidiert danach gefragt.«
»Aber warum denn nicht!« Beylich begreift es nicht. »Da haben wir einen erstklassigen Kontakt in der Szene, und Sie nutzen ihn nicht!«
»Es ist immerhin meine Tochter«, stelle ich klar, »die kann ich nicht ins Verhör nehmen.«
»Nicht?« Beylich hebt verständnislos die Hände. »Mit Verlaub, Hauptkommissar, ich habe selbst zwei Söhne, und die werden von mir durchaus mit allen Mitteln ins Gebet genommen, wenn es was zu klären gibt. Wenn Sie Ihr Töchterchen immer nur mit Samthandschuhen anfassen, wird sie bald mit Eisenkrallen zurückschlagen.«
Schon wieder ein Erziehungsexperte.
»Diese Gören wissen ganz schnell, wo die Schwachstellen von uns Erwachsenen sind«, setzt Beylich hinzu, »die versuchen, uns auszutricksen, wo sie nur können. Aber nicht mit mir: Ich regiere mit harter Hand, sonst spuren die nicht. Die müssen genau wissen, was Fakt ist. Wo die Grenzen sind. Alles andere hat Konsequenzen. Und die sind beileibe nicht angenehm.«
Ich sehe ihn an. »Sind Sie sicher, dass Sie von Ihren Kindern sprechen? Nicht von irgendwelchen Feinden?«
»Sie sind zu weich, Knoop.« Beylich sieht mich kopfschüttelnd an. »Und Sie werden Ihrer Tochter das Leben damit nicht leichter machen.«
Wir hätten die Debatte sicher noch fortgesetzt, wenn es nicht an der Tür geklopft hätte und Armin Kurzweil eingetreten wäre: der kleine Rechtsmediziner von der Charité.
»Herr Doktor«, ruft Beylich, »was treibt Sie denn hierher?«
»Nun, diese neuen Faxgeräte funktionieren nicht«, Kurzweil marschiert durch den Raum und stellt geschäftig seine Tasche auf dem Pult ab, »ich weiß nicht, ob’s nun an den ollen Leitungen liegt oder an der empfindlichen Westtechnik – jedenfalls dachte ich mir, Sie brauchen die Ergebnisse gleich«, er holt eine Mappe aus der Tasche und pinnt mit Klebestreifen kleine Röntgenbilder an die Wand, »und da sind sie: zwo, viere, sechse – womit die Identität unseres Feuertoten wohl ein für alle Mal geklärt wäre.«
Wir starren auf die kleinen Bildchen. Es sind
Weitere Kostenlose Bücher