Tortenschlacht
Unter- und Oberkieferaufnahmen ein und desselben Gebisses.
»Die Zähnchen des Opfers?« Beylich setzt sich eine Brille auf und betrachtete die Bilder genauer.
»Anders war das nicht zu händeln.« Kurzweil hebt die kurzen Arme und setzt sich auf einen freien Stuhl. »Wir haben Blutproben genommen, Knochenmuster und Gewebeproben – aber nichts, was Klarheit über die Identität gibt. Bis auf die Zähne. Die sind noch recht gut intakt.«
»Und?«
»Wir haben sie mit den Befunden des Vermissten abgeglichen – wie hieß er noch – Bäuerlich?«
»Bäuerle«, meldet Matuschka, »Ernst Bäuerle, fünfzehn Jahre alt, aus Reutlingen in Baden-Württemberg, mehrfach von zu Hause abgehauen, kleine Delikte wie Ladendiebstahl …«
»Reutlingen im Schwabenländle«, unterbricht ihn Kurzweil, »genau! – Ja, wir haben die Röntgenbilder dort hingeschickt, zum Zwecke des Abgleichs bei den dort ansässigen Zahnärzten, und hatten einen Treffer.«
Er springt wieder auf und deutet auf die Vergleichsaufnahmen aus Reutlingen. »Sehen Sie? Es gibt keinen Zweifel: Ernst Bäuerle ist unser Toter.«
»Mensch …« Beylich schüttelt fassungslos den Kopf. »Der hatte das ganze Leben noch vor sich!«
»Hat schon jemand die Angehörigen verständigt?«, frage ich.
»Ja, das haben die Beamten vor Ort übernommen«, nickt Kurzweil, »ich dachte, es ist besser, wenn die das gleich mit erledigen. – Na ja, ich muss wieder.« Er nimmt seine Tasche und verabschiedet sich mit seinem weichen Sächsisch: »Hoffe, geholfen zu haben. Bis die Tage!«
»Sehr«, rufe ich ihm nach, »vielen Dank!«
»Mist!« Beylich wirkt betroffen. »Der arme Junge. Und wir haben keine verwertbaren Spuren, nichts!« Er läuft wieder zum Tisch und sieht sich die geschmolzenen Reste des Brandsatzes an. »Gut, wir können gucken, ob wir rausfinden, wo dieser Wecker gekauft wurde, oder die Flachbatterie – aber das Zeug gibt’s doch überall! Wo anfangen?«
»Zunächst sollten wir uns auf die Leute in der Umgebung des Jungen konzentrieren«, erwidere ich und nehme den rußschwarzen, durchgeglühten Wecker in die Hand, »und herausfiltern, wer das Know-how hat, solche Brandsätze zu bauen.« Ich sehe mir die Rückseite des Weckers genauer an und das Zifferblatt. Vielleicht gibt’s ja eine Registriernummer, anhand der man feststellen kann, wo das gute Stück gekauft wurde …
Plötzlich werde ich stutzig. »Beylich?«
Der verharrt in der Bewegung. »Was ist?«
»Kommen Sie mal!« Ich gebe ihm den Wecker. »Sehen Sie sich das Zifferblatt an!«
Beylich tut’s. »Was ist damit?«
Ich trete neben ihn und wische mit den Fingern etwas Ruß beiseite. »Fällt’s Ihnen auf? Sehen Sie genau hin!«
»Steht Blessing drauf«, meint Beylich, »wie bei dem anderen Wecker.«
»Ja, ich weiß, für Sie ist wichtig, dass es ein Westwecker ist. Aber achten Sie mal auf die Zeigerstellung.«
Tatsächlich sind die Zeiger kaum noch zu erkennen und mit dem Zifferblatt in der Hitze des Feuers fest zusammengebacken.
»Stehen auf kurz vor Mitternacht«, konstatiert Beylich.
Auch die beiden Brandermittler der Feuerwehr kommen heran. »Das deckt sich mit unseren Ermittlungen.«
»Eben«, nicke ich. Denn genau da liegt der Hase im Pfeffer, wie man so schön sagt. Mein Gott, merkt denn hier keiner was?
»Die Weckzeit!« Ich deute auf den dritten, kürzeren Zeiger. Nur noch ein Stumpf ist von ihm übrig, der Rest ist verglüht. Und dennoch ist eindeutig zu erkennen, auf welche Zahl er zeigt.
»Neun Uhr«, meldet Beylich.
»Seltsam, nicht wahr?« Ich sehe Beylich und die Brandermittler abwechselnd an. »Wenn dieser Wecker tatsächlich als Zeitzünder diente, war er auf neun Uhr eingestellt. Der Brandsatz aber ist erst gegen Mitternacht explodiert.«
»Das kann nicht sein«, meint Beylich.
»Eben«, sage ich.
Die Brandermittler starren mich an. »Was wollen Sie damit sagen?«
»Nichts«, antworte ich und gebe ihnen den Wecker zurück. »Ich stelle lediglich fest, dass dieser Wecker unmöglich das Feuer verursacht haben kann. Nicht, wenn es erst um Mitternacht brannte.«
»Also kein Zeitzünder?« Beylich ist fassungslos.
»Und kein Brandsatz«, setze ich hinzu.
»Moment mal«, widerspricht einer der Brandermittler, »was ist mit den Acetonspuren?«
»Nagellackentferner«, antworte ich, »kommt in jedem weiblichen Haushalt vor.«
»Und Batterien ebenfalls«, nickt Beylich langsam, »genau wie Draht.«
»Unglaublich!« Die Brandermittler machen lange Gesichter.
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