Tortenschlacht
Vergnügen«, antwortete Johanna von Lahn mit bitterer Stimme. »Vor zehn Jahren musste ich dort meinen Sohn identifizieren.«
»Oh«, machte Hünerbein, »das tut mir leid.«
»Das muss es nicht.« Johanna von Lahn bewegte sich zum ersten Mal und griff nach einer schmalen Ledermappe auf dem Schreibtisch. »Er starb an einer Überdosis Heroin. Damals ermittelte ein Herr Palitzsch in dem Fall.«
Deshalb wollte der Chef nicht selbst hierher, stellte Hünerbein fest und beugte sich etwas vor, damit das Knurren seines Magens nicht so gut hörbar war.
»Hatte er Feinde?«
»Wer?« Johanna von Lahn hob die schmalen Augenbrauen.
»Ihr Mann«, antwortete Hünerbein.
»Ich bitte Sie!« Sie sah ihn vorwurfsvoll an. »Jeder Mensch hat Feinde. Sie etwa nicht?«
Nee, dachte er, ich wüsste nicht, warum ich Feinde haben sollte.
»Mein Mann wurde erpresst.« Johanna von Lahn kam langsam näher und reichte ihm die schmale Ledermappe vom Schreibtisch. »Ich vertraue auf Ihre Diskretion.«
Hünerbein schlug die Mappe auf und stutzte. Auf mehreren Schreibmaschinenbögen war jeweils immer nur ein Satz getippt, immer derselbe:
Erinnerst du dich an Rosemarie?
Ingesamt vier Mal. Nur auf dem fünften Blatt stand etwas anderes:
Dafür wirst du büßen müssen!
Mit einer Büroklammer war ein Bild angeheftet worden, das Hünerbein bereits kannte. Es war die Kopie des Polizeifotos aus dem Aktenordner, den er am Vortag von Friedrichs bekommen hatte: Rosemarie Huth, 22. Juni 1961. Jener Mord, den man vor fast dreißig Jahren vergeblich Arndt in die Schuhe hatte schieben wollen.
Interessant, dachte Hünerbein, wie sich die Dinge manchmal fügen.
»Woher haben Sie das?«
»Aus seinem Schreibtisch«, antwortete Johanna von Lahn, »ich habe geschäftliche Unterlagen gesucht, für wichtige Termine, die unbedingt eingehalten werden müssen.«
»Und die Sie jetzt wahrnehmen wollen?«
»Die ich wahrnehmen muss«, entgegnete Johanna von Lahn mit Bitterkeit in der Stimme, »sonst geht hier alles vor die Hunde.« Sie setzte sich in den Sessel gegenüber, ganz vorn auf die Kante und ohne sich anzulehnen. »Diese Rosemarie Huth? Glauben Sie, dass es seine Geliebte war?«
»Ich weiß nicht«, antwortete Hünerbein, »was glauben denn Sie?«
»Mich irritiert das Foto«, sie sah ihn starr an, »dieses Mädchen dort ist allem Anschein nach tot.«
»Das ist es«, nickte Hünerbein und wartete ab.
»Offenbar ist Werner damit unter Druck gesetzt worden!« Ihre Stimme wurde jetzt höher. »Es kann doch unmöglich sein, dass er jemanden … dass er eine junge Frau getötet hat, oder?«
Fragend sah sie ihn an, so als könne Hünerbein das sofort unzweifelhaft beantworten.
»Der Fall ist immerhin dreißig Jahre her«, gab er zu bedenken. »Hat Ihr Mann sich denn mal in so eine Richtung geäußert?«
»Nein!« Johanna von Lahn stand wieder auf, ging ein paar Schritte und blieb dann unvermittelt stehen. »Mein Mann war immer überaus korrekt. Es gab nie etwas …« Sie drehte sich zu Hünerbein um. »Schon gar nicht so etwas. Das ist absolut unmöglich!« Sie wandte sich wieder ab, ging langsam zum Fenster und sah nachdenklich hinaus. »Er muss mir etwas verschwiegen haben …«
Vermutlich, dachte Hünerbein. Er erhob sich ebenfalls und trat neben sie ans Fenster. Hinter lichter werdenden Baumkronen spiegelte sich das Wasser des Kleinen Wannsees.
»Und dass Ihr Mann diese Bögen getippt hat«, setzte er nach einer Weile hinzu, »um seinerseits jemanden unter Druck zu setzen, schließen Sie aus?«
»Natürlich!«
»Wer sagt Ihnen denn, dass er das nicht selbst geschrieben hat?«
»Das wird sich feststellen lassen!« Johanna von Lahn holte tief Luft. »Werner ist kein Erpresser!«
»Gut«, nickte Hünerbein langsam und sah sie von der Seite her an. »Wissen Sie, wo er am Samstagabend war? In der Nacht, als er starb?«
»Nein.« Johanna von Lahn schüttelte den Kopf. »Luise sagte mir, er habe noch einen späten Termin gehabt.«
»Wo?«
»Hier, in diesem Raum.« Johanna drehte sich zu Hünerbein um und hob die Hände. »Mit einem Herrn Meyer von einer Immobilienfirma.«
»Name, Adresse?
»Bitte?«
»Von dieser Immobilienfirma«, wurde Hünerbein deutlicher, »haben Sie da eine Adresse? Oder eine Telefonnummer?«
»Die suche ich ja die ganze Zeit«, rief Johanna von Lahn verzweifelt, »deshalb bin ich ja überhaupt an den Schreibtisch meines Mannes gegangen. Aber ich finde sie nicht. Ich weiß nur noch den Namen – DOMIZIL , glaube
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