Tortenschlacht
wovon der Chef sprach, und das machte er ihm auch sehr deutlich. Im Übrigen sei er offiziell nach Ostberlin versetzt – Palitzsch könne ihn mal! Damit hatte er aufgelegt.
Das war ein Fehler! Denn statt weiterschlafen zu können, wurde er erneut wachgeklingelt – und jetzt war es Palitzsch, der Hünerbein klarmachte, dass er, sollte er nicht in null Komma nix in der Keithstraße auftauchen, mit einer sofortigen Versetzung ins Archiv zu rechnen habe.
Hurtig sprang Hünerbein aus dem Bett – denn das Archiv war die Antwort der Berliner Polizei auf den russischen Gulag – und verstauchte sich erst mal den Knöchel. Humpelnd lief er ins Bad, wusch sich halbherzig, putzte sich die Zähne und zog sich hastig an. Nicht mal mehr frühstücken konnte er – für einen Menschen wie Hünerbein war das die reine Folter.
Punkt sechs Uhr stand er hungrig vor seinem völlig aufgelösten Chef und wurde ins Bild gesetzt: Die Leiche am Hüttenweg sei als Werner von Lahn identifiziert worden, ein Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses, was an sich schon Skandal genug sei. Hauptkommissar Hans Dieter Knoop sei mit den Ermittlungen betraut worden, aber plötzlich spurlos von der Bildfläche verschwunden und seit gestern Abend nicht mehr zu erreichen. Eine Pressemitteilung müsse dringend raus, aber was solle man denen erzählen? Und das alles so kurz vor der Einheit. Nun liege es an ihm, Hünerbein. Bewähre er sich, sei Palitzsch ausnahmsweise bereit, den kleinen Ausrutscher vorhin am Telefon zu vergessen. Scheitere er dagegen, drohe ihm für den Rest seines Lebens ein jämmerliches Dasein als Archivar.
Hünerbein fand das extrem ungerecht. Schließlich hatte er angenommen, die drohende Versetzung schon durch seinen Verzicht aufs Frühstück abgewendet zu haben. Immerhin war er wie gefordert in null Komma nix beim Chef, oder? Aber so sind Tyrannen, sie drohen trotzdem mit dem Tod.
Er rief ein paarmal bei seinem Partner an, erreichte aber immer nur den Anrufbeantworter und machte sich schließlich allein auf den Weg zur Witwe von Lahn.
Prächtige Villen links und rechts, uralter Baumbestand und herrliche Wasserlage. Hier hatten früher UFA -Stars wie Heinz Rühmann gewohnt, Industrielle, reiche Kaufleute und Bankiers, und noch heute war die Straße Am Kleinen Wannsee eine der teuersten Lagen Berlins.
Hünerbein stoppte seinen Mercedes vor den kunstvoll verzierten schmiedeeisernen Toren zum Lahnschen Anwesen und stieg schwerfällig aus. Die Vögel zwitscherten, alles schien ruhig, kein Mensch war auf der Straße zu sehen. Hünerbein suchte nach einem Klingelknopf, fand aber keinen. Er rüttelte am Tor, rief. Vergebens. Beim Versuch, seine drei Zentner kletternd über den circa zwei Meter hohen Zaun zu wuchten, trat er versehentlich auf die Klinke des Tores, und es schwang auf. Verblüffend, es war gar nicht abgeschlossen. Manchmal sind die Dinge eben doch ganz einfach.
Über eine unter den Füßen knirschende, von Säulenholundern, Rosenbeeten und Buchsbäumen gesäumte Kiesauffahrt näherte er sich einem prachtvollen Palais. Heiliger Strohsack, dachte er, unsere Volksvertreter verstehen es zu leben.
Zwei große Kandelaber, dazwischen eine imposante Eingangstür. Das Holz war alt und grau, und wieder suchte Hünerbein eine Klingel. Nichts. Er klopfte, wartete, denn das Haus war groß, klopfte noch mal und drückte auch hier die Klinke. Diese Tür aber war verschlossen.
Nach einer Weile hörte er endlich Schritte. Kurz darauf öffnete ihm eine kleine, elegant gekleidete ältere Dame mit übergroßer Sonnenbrille. Offenbar hatte sie geweint, denn sie tupfte sich mit einem großen Stofftaschentuch die Tränen aus dem Gesicht.
»Guten Abend«, stellte sich Hünerbein vor, »ich bin Hauptkommissar Harald Hünerbein, Inspektion M 1. Ich ermittle in dem …« Er stockte, überlegte: Sollte er Mordfall sagen, oder …
»… in der Sache«, entschied er sich schließlich. Das klang einigermaßen neutral.
Vielleicht zu neutral, denn die Dame starrte ihn durch ihre Sonnenbrille sekundenlang wortlos an. Ihm fielen die Ohrringe auf, riesige Klunkern in derselben Farbe wie ihr türkises Kostüm. Darunter trug sie eine gestärkte Bluse, deren Kragen von den vielen Tränen ganz feucht war.
»Es tut mir sehr leid, was mit Ihrem Mann passiert ist«, setzte er hinzu. »Aber wir werden das aufklären, Frau von Lahn.«
»Ich …« Die Dame schüttelte schluchzend den Kopf und tupfte sich wieder die Tränen aus dem Gesicht. »Ich bin
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