Tortenschlacht
heranrasen, am Steuer ein finsterer Stasisiggi, auf der Rückbank ein todgeweihter Werner von Lahn. Aber aus welchem Grund? Was kann an dem Abend zwischen den beiden schiefgegangen sein?
Vielleicht waren es doch welche von Melanies wackeren Hausbesetzern, Typen wie dieser Dark, die mal eben einem Kapitalisten zeigen wollten, was ‘ne Harke ist? Und dann ist die Situation außer Kontrolle geraten?
Klar ist, plötzlich geht der Fahrer des Wagens voll in die Eisen. Vielleicht war’s wirklich ein Tier, das die Vollbremsung verursachte. Und Superpoliticus Lahn zertrümmert sich das ach so geschichtsträchtige Haupt. Aber müsste dann nicht Blut auf der Straße sein? Das hält doch keine Windschutzscheibe aus. Der wäre doch glatt durchgeflogen. Und dann hätte der Totengräber auch Glassplitter finden müssen. Stattdessen: Muss ein altes Auto gewesen sein. Mit sehr robusten Scheiben .
Und warum ist der Fahrer einfach weitergefahren? Um Lahns Leiche ein paar Meter weiter in die Autobahnböschung zu kippen. Wieso? Weil der Fahrer unter Schock stand und nicht mehr wusste, was er tat?
Plötzlich ein Geräusch, links von mir im Wald. Es klingt wie ein Husten. Durchaus menschlich. Unruhig leuchte ich mit der Taschenlampe herum. Gleich neben der Straße beginnt dichter Wald. Hohe Kiefern, dazwischen ein paar Laubbäume und dichtes Gebüsch, dessen Laub allmählich herbstlich gelb wird. Ist da etwas? Vorsichtig trete ich näher.
»Hallo«, rufe ich, »ist da wer?«
Meine Stimme hallt unheimlich durch die Nacht. Ich spüre die Angst in mir hochkriechen. Aber warum? Fürchte ich mich vor dem Waldschrat? Ich bin doch kein Kind mehr. Und trotzdem gruselt’s mir, als lauerten im Dickicht blutrünstige Monster. Vermutlich habe ich zu viele schlechte Filme gesehen. Oder es ist die Erinnerung an einen männlichen Kopf, der vor zwei Jahren am Wannseebadweg gefunden worden war. Sauber abgetrennt und halb von Ameisen zerfressen. Bis heute ist seine Identität nicht geklärt, der restliche Körper wurde nie gefunden.
Was war das? Hastig fahre ich herum. Hat es da nicht eben geknackst? Als ob jemand auf einen Ast getreten ist?
»Ist da jemand?«, rufe ich noch mal. Meine Stimme zittert, und nur mühsam kann ich das Verlangen bezwingen, panisch zum Auto zurückzurennen und abzufahren.
Beruhige dich, Knoop, denke ich, bislang ist noch kein Kriminalkommissar im Grunewald abhandengekommen. Wer oder was soll hier schon groß sein? – Nichts. Vielleicht ein Tier, das sich da im Dickicht versteckt. Wenn ich mich ihm weiter nähere, müsste es bald die Nerven verlieren, aufschrecken und flüchten. Dann wüsste ich es genau.
Vorsichtig bahne ich mir einen Weg durchs Unterholz, schiebe ein paar Zweige beiseite, taste mich langsam vor.
Kein Tier!
Im Gegenteil: Zwei höchst menschliche Augen, die mich aus dem Dickicht heraus mit großem Schrecken anstarren.
Mir stockt das Herz.
Schon schießen die fremden Augen auf mich zu. Ich bin viel zu entsetzt, um mich zu wehren, und dann ist es zu spät: Ein mörderischer Schlag wirft mich zu Boden.
Aua, denke ich noch und lande zwischen Sträuchern und welken Heidelbeerbüschen. Blut läuft mir über das Gesicht, aber ich fühle keinen Schmerz. Ich höre auch nichts mehr, kann mich nicht mehr bewegen, bin wie gelähmt …
Jemand packt mich an den Füßen und schleift mich über den Waldboden davon. An meinen Augen ziehen kleine Kiefernzapfen, Blaubeergestrüpp und welkes Laub vorüber. Mein Körper holpert über trockene Äste und moosbewachsene Steine. Das war’s. Ich kann nichts machen. Ich kann weder schreien, noch mich rühren, und werde durch den Wald gezerrt wie erlegtes Wild.
34 DER DIENSTAGMORGEN begann für Hünerbein ungemütlich. Dabei war der Abend gestern recht angenehm verlaufen. Der älteste Sohn war aus Göttingen zu Besuch und hatte vom Fortgang des Studiums erzählt. Wenn alles gut liefe, würde er im nächsten Jahr sein Diplom haben. Es war mild draußen, Uschi hatte einen sehr leckeren Auflauf mit Hackfleisch gemacht, man hatte zusammen auf der Terrasse gesessen, Rotwein getrunken und war erst spät zu Bett gegangen.
Das sollte sich rächen, denn schon um fünf Uhr dreißig klingelte das Telefon, und ein extrem mies gelaunter Kriminaloberrat Palitzsch war dran. Er wollte wissen, wo Knoop sei, warum er über den Fortgang im Fall Lahn nicht informiert werde und wieso von der Mordkommission noch niemand der Witwe kondoliert habe?
Hünerbein hatte keinen Schimmer,
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