Tortenschlacht
auf meine drängendste Frage: Was ist mit mir passiert? Und wenn es diesen Wunsch nach Aufklärung gibt, kann ich nicht im Himmel sein …
»Wo, verdammt, bin ich?«
»Janz ruhig!« Mein Gegenüber drückt mich sanft zurück aufs Kissen. »Bloß keene Aufregung. Die sollten wir tunlichst vermeiden.«
»Wer sind Sie?«
»Gestatten: Heinrich Boelter!« Er beugt sich lächelnd vor. »Meine Freunde sagen aber alle Heini zu mir – für dich also …« Er hält mir seine Hand hin »… Heini, okay?«
»Okay, Heini.« Ich schlage matt ein. Soweit das auszumachen ist, liege ich in einem schmalen Bett unter dicken Federkissen, rechts von mir ist ein Nachtschränkchen und geradezu eine Tür. Links davon steht ein schmales Vertiko neben einem Spiegel und an der rechten Wand ein großer Kleiderschrank. Alles im Berliner Gründerzeitstil, gute alte Kaiserzeit. Nur Elvis beziehungsweise Heini passt nicht so recht hierher.
Und ich? Was mache ich hier?
»Jetzt trinkste erst mal was.« Heini hilft mir etwas hoch und hält mir vorsichtig eine Tasse an den Mund. »Yogitee«, erklärt er, »der hat och den ollen Gandhi wieder uff die Beene jebracht.«
Die Frage ist, wer mich von meinen runtergeholt hat. Verzweifelt versuche ich, mich zu erinnern. Aber an was? Okay, ich bin Hans Dieter Knoop, dreiundvierzig Jahre alt, geboren in Berlin. Wohnhaft Belziger Straße 75 in Schöneberg, Beruf Kriminalbeamter. Vater einer Tochter, Melanie, sechzehn Jahre, Bonhoeffer-Gymnasium. So weit, so klar. Und weiter?
»Mensch, nu kiek nich so verrätselt.« Heini stellt die Tasse wieder ab. »Ick helf dir schon wieder uff die Sprünge. Sowohl jeistig als och körperlich, versprochen.« Er beugt sich ganz dicht zu mir, sodass ich seinen Pfefferminzgeruch wahrnehme. Entweder ist Heini ein Freund der Mundspülung, oder er kaut Kaugummi. »Aba vorher musste mir wat versprechen, klar?«
»Klar«, nicke ich mühsam.
»Du bist nämlich mein einziger Trumpf in einem Meer von Nieten.«
Ein Lottogewinn, denke ich, so fühlt man sich als Lottogewinn. Spuck’s aus, Heini, wie viel bin ich wert?
»Du musst mich aus der Scheiße rausholen«, sagt Heini eindringlich, »in die ick mich janz dicke verfahren habe. Vastehste?«
Ich nicke, verstehe aber trotzdem kein Wort.
»Ick bin keen schlechter Mensch«, versichert Heini Boelter, »ick will eigentlich och imma nur det Jute. Aber manchmal passieren so Sachen, da denkste echt, wat soll det? Warum imma icke? Isses Karma oder bad vibrations ? Oder bin ick einfach nur naiv? Blöde, zu beknackt für diese Welt?«
Mir fällt mein Fall wieder ein: Helmholtzplatz, Hausbrand, ein Toter – falsch: Nicht mein Fall, Beylichs Fall, ich bin nur der Typ für die demokratische Resozialisierung gestandener Volkspolizisten. Aber was mache ich dann hier? Und wo ist eigentlich meine Tochter Melanie?
»Jedenfalls is die Kacke total am dampfen«, redet Heini Boelter weiter, »und ick, vastehste, steck bis zum Hals da drin und komm alleene nich mehr raus. Im Jejenteil: Allet, wat ick mache, lässt mich nur tiefer drin versinken.« Er sieht mich bittend an. »Det is wie im Sumpf. Quicksand , wie die Amis sagen. Ick brauch ‘ne rettende Hand, an der ick ma festhalten kann.« Und schon greift er nach meiner Rechten und drückt sie fest.
Melanie, denke ich, genau. Da war der Hof mit dem erhängten Bauern. Arndt … Und dann war das Geld weg und Enzo sauer. Aber was hatte dieser Glockenwecker mit all dem zu tun? Blessing, Ellenbergers Schmuckkästchen und Richard Tauber in der Spieldose …? Mein Kopf dröhnt, als würden dort drei Opern gleichzeitig gespielt …
»Kann ich noch ein bisschen«, mühsam hebe ich meinen Kopf, »von dem Tee?«
»Klaro, mein Juter!« Heini Boelter hilft mir wieder beim Trinken und redet wie eine besorgte Mutter auf mich ein. »Det wird allet wieder jut, wirst sehen. Ick hab ma bloß so erschreckt, als du da nachts plötzlich uffjetaucht bist. Mitten auf dem Hüttenweg …«
Achja, der Hüttenweg, denke ich, was hab ich da nur gemacht?
»… dabei wollte ick nur mein Portemonnaie suchen.« Heini Boelter tupft mir den Mund ab, »det muss ick da verloren haben, als ick so furchtbar kotzen musste. Is mir aber erst montags aufjefall’n. Beim Bäcker. Ick steh da mit meine Schrippen und keen Jeld. Mist, denk ick, wo kann det sein? Zu Hause nüscht, und plötzlich läuftet mir eisekalt übern Rücken. Holy shit , womöglich liegt’s noch da im Wald? Als ick den Borsalinohut übern Jordan
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