Tortenschlacht
Licht!«
Ich hoffe es. Oder spiegeln sich da nur die Straßenlampen?
»Ich komm noch mit hoch.« Hünerbein stoppt den Wagen.
»Nicht nötig, Harry, wirklich.«
»Keine Widerrede!« Er parkt seinen Mercedes in einer Einfahrt und pappt ein Schild hinter die Windschutzscheibe: »Der Polizeipräsident von Berlin – Dienstfahrzeug!«
»Komm Sardsch«, er packt mich am Arm, »sehen wir nach!«
Die letzten Stufen zu meiner Wohnung rennen wir fast. Ich schließe auf, wir treten ein.
Es ist dunkel. Kein Licht. Niemand da. – Mist!
»Hier hat ein paarmal jemand angerufen.« Hünerbein steht schnaufend vor meinem blinkenden Anrufbeantworter und tippt die Abhörtaste. Es piept, wir hören meine Stimme: »Melanie, wenn du da bist, geh bitte ran. Wir haben hier eine Liste, auf der du vermisst gemeldet wirst, und natürlich mache ich mir Sorgen. Genauso natürlich gehe ich davon aus, dass alles in Ordnung ist. Ruf mich trotzdem unter der Dienstnummer an. Danke.« Klick. Dann piept es noch zweimal. Aber aufs Band gesprochen hat niemand mehr.
»Mhm«, macht Hünerbein, »bestimmt war sie das.«
»Und warum sagt sie dann nichts?« Ich hebe genervt die Hände. »Ich hab doch gesagt, sie soll zurückrufen!«
»Weil man das Band von draußen nicht abhören kann.«
»Doch, das kann man«, widerspreche ich heftig, »das ist ein Code-A-Phone!«
»Hat Melanie den Code?« Hünerbein sieht mich fragend an.
»Nee«, ich schüttele müde den Kopf, »hat sie wohl nicht.«
»Na also.« Hünerbein schnauft und sieht mich besorgt an. »Kann ich dich hier allein lassen?«
»Klar.« Erschöpft sinke ich auf einen Stuhl. »Geh nur. Ich spring schon nicht aus dem Fenster.«
»Ruf mich an, wenn was ist.« Hünerbein nickt mir aufmunternd zu. »Und dreh nicht durch, klar? Es wird sich alles fügen.«
Ja, denke ich, die Frage ist nur, wie.
Hünerbein wendet sich ab, die Wohnungstür klappt. Ich bin allein.
Seit Melanie hier wohnt, penne ich auf dem Klappsofa im Wohnzimmer, sie hat mein altes Schlafzimmer bezogen. Küche und Bad teilen wir uns – es ist wie in einer kleinen Wohngemeinschaft. Jeder hat seins und respektiert des anderen Privatsphäre. Dennoch schaue ich in ihrem Zimmer nach.
Hunde- und Pferdebilder an den Wänden wie bei einer Zwölfjährigen. Aber auch Poster von Slime und Agnostic Front, ein überdimensional kopiertes »Berlin-by-Night«-Plattencover der Punkband PVC sowie Fotos der Dead Kennedys. Ich suche nach einer Adressliste, ihrem kleinen Telefonverzeichnis, nach irgendeiner Nummer einer Freundin, finde aber nur selbst gemalte Zeichnungen von Typen mit charismatischen Gesichtern auf ihrem Schreibtisch. Melanie hat Talent, eines der Bilder zeigt unzweifelhaft den würdevollen Irokesen vom Helmholtzplatz. Also war sie tatsächlich dort.
Ich gehe in die Küche und hole den Wodka aus dem Eisfach, damit das beklemmende Gefühl in der Brust nachlässt. Du bist Ermittler, rede ich mir ein, also bleib kühl und gelassen. Finde raus, was mit Melanie passiert ist!
Zurück in ihrem Zimmer stöbere ich weiter in ihren Sachen. Unzählige Entwürfe auf Papier gemalt, düstere Muster, brennende Autos, mal erstaunlich fein, mal grob holzschnittartig, und immer wieder mit demselben Schriftzug versehen: »ANORAK ZONE!«
Was soll das bedeuten?
In ihr Poesiealbum – ursprünglich war es mal rosa, doch sie hat es mit schwarzem Lackpapier überklebt – haben seltsame Wesen mit Namen wie Smashing Gayle, Heavy Polzin und Dicke Doofe Lola Sprüche wie »Lieber schwarze Lippen als schwarze Füße«, »Pure Magic is your Ass« und »All you need is Love« reingeschrieben. Ein Dark schickt »fette Grüße an Zonen-Melly« …
Moment mal: Dark?
Ich lasse das Poesiealbum sinken: »Darks Zimmer«, höre ich den Irokesen: Mensch, hoffentlich ist es nicht Dark! – Worte, die mir wie Paukenschläge im Hirn nachhallen.
Was weiß ich überhaupt von meiner Tochter? Ich sehe sie vor mir, ein kleiner, hübscher Engel mit großen dunklen Augen, Stupsnase und Schmollmund. Die typische Handbewegung, mit der sie sich die Haare aus der Stirn streicht. Ich höre ihre Stimme, wie sie vom Gymnasium erzählt: Von Rektor Paech mit seinen »scheißliberalen Ansichten«. Dem sei alles egal, Hauptsache, die Individualität stimmt.
Und ich höre stolz zu, finde Melanie unheimlich gescheit für ihr Alter und liebe es, wie sie sich und ihre Umwelt immer wieder kritisch betrachtet. Ein Muster an Selbstreflexion. Ich sehe sie mit schneidigen Abiturienten
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